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AERZTE Steiermark 04/2021

 

„Wir erleben alle zum ersten Mal eine Pandemie“

Die Grazer Allgemeinmedizinerin Kristina Köppel-Klepp hat mit der Facebook-Gruppe „Ärzte versus COVID-19“ eine Plattform geschaffen, in die mittlerweile fast 2.800 Mitglieder ihre Erfahrungen einbringen. Der Vorteil dieser Kommunikationsform: Hier findet im nichtöffentlichen Rahmen ein fachlicher Diskurs statt – und wer eine Frage postet, erhält oft innerhalb von fünf Minuten eine zumeist fundierte Antwort.

Ursula Scholz


Frau Dr. Köppel-Klepp – Sie haben im Zuge der Pandemie die Facebook-Gruppe „Ärzte vs COVID-19“ gegründet. Zu welchem Zeitpunkt haben Sie diese Idee geboren?

Das war im März letzten Jahres, im ersten Lockdown. Als wir allein in unseren Ordinationen gesessen sind, ohne Schutzausrüstung und ohne Maske. Eine Kollegin musste recht schnell in Quarantäne, weil sie einen positiven Patienten in ihrer Ordination betreut hatte und in dem Moment dachte ich mir: Wir müssen uns vernetzen. Daher habe ich die Facebook-Gruppe gegründet, zuerst nur mit meinen engsten Kollegen. Es war eigentlich nicht geplant, eine so große Gruppe zu gründen. Das war der Schneeballeffekt …


Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Ziel war es – zuerst österreichweit, später sind viele Kollegen von außerhalb dazugekommen – uns zu vernetzen, um uns gegenseitig dringende und fachspezifische Fragen stellen zu können. Am Anfang, wie therapiere ich einen COVID-Erkrankten, was ist intensivmedizinisch möglich. Dann waren es Fragen rund um unterschiedliche Tests und jetzt ist es das große Thema Impfen. An welche Patientengruppe kann ich welche Impfstoffe verimpfen?


Die Gruppe zählt mittlerweile fast 2.800 Mitglieder. Haben Sie mit einer derartigen Resonanz gerechnet?

Nein. In den ersten Wochen ist es wirklich schlagartig gegangen mit 50 bis 60 Anfragen täglich. Da bin ich kaum nachgekommen, jeden Namen zu googeln, ob es wirklich Mediziner oder Personen aus dem medizinischen Umfeld sind. Denn: Was wir in dieser Gruppe schreiben, sollte prinzipiell unter uns bleiben. Wir diskutieren auch fachliche Themen, die nicht an die Öffentlichkeit sollen.


Beteiligen sich wirklich 2.800 Ärzt*innen oder eher andere Mitarbeiter*innen aus dem Gesundheitsbereich?

Es sind nicht nur Ärzte, sondern auch Diplomkrankenschwestern und Pfleger. Weil am Anfang die Anfragen so zahlreich waren, sind sicher einige durchgerutscht und aus reinem Interesse dabei. Aber über 95 Prozent sind Mediziner.


Aus welchen Regionen?

Wir haben neben den Österreicher*innen einige Kollegen aus Deutschland, Schweden und Großbritannien. Die Schweden sind für uns spannend – da haben die Kollegen ihre Erfahrung mit der schwedischen Strategie gepostet. Weil das in den Medien ja oft anders rüberkommt als es tatsächlich stattfindet.


Welche Fachgruppen sind in Ihrer Facebook-Gruppe?

Alle. Wir haben zum Beispiel Gynäkologen, Zahnärzte, Intensivmediziner, Chirurgen, Pathologen und natürlich ganz viele Hausärzte. Jeder will etwas anderes wissen – und der nächste beantwortet das Posting oft schon nach fünf Minuten.


Womit erklären Sie sich den enormen Zulauf?

Ich glaube, das hat einfach damit zu tun, dass wir alle zum ersten Mal eine Pandemie erleben. Das Schwierige ist jetzt, gemeinsam eine Lösung zu finden. Jedem Arzt geht es gleich. Vor allem die Niedergelassenen sind allein auf weiter Flur und wissen oft nicht, wie sie gewisse Dinge regeln sollen. Nicht nur medizinische, sondern oft auch administrative. Zusätzlich ist es natürlich großartig, dass wir Kollegen aus dem Impfgremium bei uns haben, durch die alle Neuerungen sofort in die Gruppe kommen – so wie jetzt die Diskussionen um Sinusvenenthrombosen bei AstraZeneca: Kann ich, muss ich niedermolekulares Heparin verordnen? Was gilt für Risikogruppen? Wenn dann der Kollege gleich nach der Sitzung die neuen Leitlinien schreibt, können wir sofort damit arbeiten. Der Austausch ist wichtig. Es sind ja viele Meinungen, weil die Kolleg*innen unterschiedlicher Fachgruppen ganz andere Ansätze haben und die werden heftig diskutiert.


Welche Grundstimmung herrscht in Ihrer Gruppe: Läuft es immer friedlich ab?

Es ist sicher so, dass wir alle den Ernst der Lage sehen. Die Wege, die Pandemie zu bekämpfen, sind unterschiedlich. Es sieht jeder in dem Fachbereich, in dem er arbeitet, verschiedene Patienten und Krankheitsverläufe – und dementsprechend hat er auch unterschiedliche Ansichten. Oft wird in der Gruppe eine Frage gestellt und es schreiben dann viele und diskutieren den Ansatz. Manchmal sind es Fallbeispiele von Patienten, manchmal Diskussionen, wie sinnvoll Maßnahmen der Regierung sind. Jetzt zum Beispiel: Wie sinnvoll ist ein Lockdown, welche anderen Maßnahmen würden wir als Ärzte für effizient erachten? Wir versuchen auch, unsere Ärztevertreter zu erreichen, damit sie uns zuhören. Wir haben ihnen das Feedback gegeben, dass wir unbedingt impfen wollen. Das hat sehr gut funktioniert, weil wir auch einige Vertreter der Ärztekammer in der Gruppe dabei haben.


Können Sie Maßnahmen nennen, die die Ärzte jetzt gerne hätten?

Wir hätten gerne präventive Maßnahmen. Wir reden immer nur von Maske, Rückzug und Lockdown. Aber es handelt sich um eine Erkrankung, mit der wir vermutlich die nächsten Monate und Jahre leben werden müssen. Das heißt, wir sollten langfristig denken. Darauf schauen, dass die Menschen nach draußen gehen, ihr Immunsystem stärken, Bewegung machen. Sonst heißt es immer, wir müssen uns zurückziehen. Das ist kurzfristig sicher gut, aber langfristig werden wir das nicht leben können. Weil die Depressionen steigen und der Blutdruck ebenso. Es ist ja nicht so, dass die Maßnahmen unbeschadet an allen vorübergehen – von den Kindern und Jugendlichen ganz zu schweigen.


Gibt es konkrete Punkte, in denen sich die Ärzt*innen Änderungen, mehr Verständnis, mehr Unterstützung erwarten oder erhoffen?

Was wir gerne hätten, wäre, dass wir mit unseren Anliegen bei unseren Vertretern mehr Gehör finden. Beispielsweise in puncto kostenlose Antigentests in den Ordinationen. Wir können Asymptomatische nicht gratis testen, die Apotheker schon. Sehr viele Patienten wollen aber gerne zum Hausarzt gehen. Bei den Impfungen hat es sehr gut funktioniert, da haben wir das Gefühl, dass wir gut mit eingebunden wurden.


Sie sind im vergangenen Jahr neben Ihrer Wahlarztpraxis auch Amtsärztin geworden. Wie ist es dazu gekommen?

Ein Kollege erzählte mir, dass sie verzweifelt Ärzte suchen, weil die Zahlen explodieren. Da dachte ich mir, das kann ich nebenbei vom Homeoffice aus machen. Derzeit ist jede helfende Hand notwendig. Mir macht es Spaß, mitzuarbeiten; wir sind ein tolles Team.


Hat es schon Momente gegeben, in denen Sie diese Entscheidung bereut haben?

Nein! Sicher ist es viel Arbeit und hin und wieder gibt es Momente, in denen ich mir denke, der Tag könnte mehr Stunden haben … Aber wir hoffen doch, dass es im Herbst ein bisschen ruhiger wird.


Hat sich im Rahmen der amtsärztlichen Tätigkeit Ihre Perspektive auf die Pandemie geändert?

Man sieht vielleicht noch einen anderen Hintergrund, wenn man mit so vielen Menschen telefoniert. Wie sich die Pandemie auswirkt, aber auch das Administrative. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das heißt, jedem Einzelnen einen Bescheid auszustellen und dafür zu haften. Man sperrt ja einen Menschen für 14 Tage ein, und wenn er danach immer noch Symptome hat, muss ich ihm erklären, warum ich ihn nicht aus der Quarantäne entlassen kann. Diese Gespräche sind oft nicht leicht. Am liebsten würden wir ohnehin sagen, geht´s alle raus – aber das ist leider nicht machbar, gerade bei der viel infektiöseren britischen Mutation.


Als ehemalige Teamärztin von Sturm Graz verfügen Sie über reichlich Erfahrung mit Mentaltraining. Wie motivieren Sie sich selbst – und die Ärzt*innen Ihrer Facebook-Gruppe – weiter durchzuhalten?

Ich glaube, dass alle Ärzte extremst motiviert sind. Natürlich sind wir hin und wieder müde und energielos, aber da hatte ich nie den Eindruck, dass jemand gesagt hätte, jetzt kann er nicht mehr oder will nicht mehr. Es ist eher das Problem, dass wir das Gefühl haben, wir treten auf der Stelle und dass irgendwann einmal ein Punkt kommen sollte, wo wir merken, jetzt tut sich etwas. Wenn die Impfstoffe wirklich da sind und wir die Leute mit Schwung durchimpfen können und den Erfolg sehen. Aber auch eine Pandemie hat ihre gute Seite: Wir Ärzte haben uns in den vergangenen Monaten gut vernetzt. Wir arbeiten eng miteinander, um einander besser unterstützen zu können und es wäre mein Wunsch, dass wir auch danach weiter vernetzt bleiben. Dadurch können wir vieles sehr viel leichter lösen.

 

Foto: SK Sturm Graz

 




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