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Nicht Moralpolizei, sondern Entscheidungshilfe

Vor zehn Jahren formierte sich das Ethikkomitee am Grazer Uniklinikum als eines der ersten in Österreich. Mittlerweile tritt im Schnitt fast alle zehn Tage ein Konsil zusammen.

U. Jungmeier-Scholz

Wann verlängert eine ärztliche Behandlung das Leben und wann verlängert sie nur noch das Sterben? Dieser Frage widmet sich das Ethikkomitee am LKH-Universitätsklinikum Graz – in grundsätzlichen Überlegungen, aber auch in zahlreichen konkreten Einzelfällen.
„Hilfe am Ende des Lebens, gelegentlich auch am Anfang“ – mit diesen Worten umreißt Hans Tritthart, Neurochirurg und Vorsitzender des Ethikkomitees, die Hauptaufgabe dieser interdisziplinären Gruppe, die vor kurzem ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. Am Ende des Lebens geht es darum zu entscheiden, welche Form von Behandlung noch durchgeführt wird und welche nicht.
Am Beginn des Lebens wird das Komitee dann kontaktiert, wenn ein Kind mit multiplen gravierenden Fehlbildungen zur Welt kommt  – daher ist auch immer ein Kinderfacharzt vertreten. Manchmal bleibt da nur die Wahlmöglichkeit, nichts zu unternehmen, weil die Medizin schlichtweg nichts Heilendes anzubieten hat.

Therapieziel ändern

„Bei der Behandlung am Lebensende hat eine wichtige Änderung in der Kommunikation stattgefunden“, erklärt Sonja Fruhwald, Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie stellvertretende Vorsitzende des Ethikkomitees. „Wenn früher von Therapieabbruch gesprochen wurde, hat das bei den Angehörigen große Ängste geweckt, dass hier plötzlich alle Maschinen abgeschaltet werden und ein geliebter Mensch erstickt oder verdurstet. Daher bezeichnen wir unser Vorgehen nun als Änderung des Therapieziels – von kurativ zu palliativ –, damit klar ist, dass der Patient weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit erhält und die Linderung der Symptome unser zentrales Augenmerk darstellt.“
In diesen Fällen wird entweder eine Behandlung nicht mehr begonnen oder eine bestehende wohldosiert zurückgenommen – bei fortdauernder sorgfältiger Pflege, angepasster Schmerztherapie und dem Versuch, auch diese letzte Phase so lebenswert wie möglich zu gestalten.

Nur Minderheit sorgt vor

Im Zentrum der Diskussion steht immer der mutmaßliche Wille des Patienten – auch wenn dieser sich nicht mehr selbst dazu äußern kann. „Für uns lautet die zentrale Frage: Wollte der Patient, dass alles medizinisch Machbare unternommen wird, selbst wenn das erhoffte Ziel, also Heilung, Verbesserung des Allgemeinzustandes oder die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, dadurch nicht mehr erreicht werden kann?“, so Tritthart.
Viele Angehörige realisierten erst am Sterbebett ihres Partners, dass sie nach österreichischem Recht eigentlich keinerlei Entscheidungsbefugnis haben. Nur eine verschwindende Minderheit sorge vor, etwa mittels beachtlicher Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Ganz selten existiere eine derart klare – wenn auch ungewöhnliche – Meinungsäußerung wie bei jener Patientin, die sich „Do not resuscitate“ auf den Oberkörper hat tätowieren lassen. Hier sei noch viel Bewusstseinsbildung nötig, betont der Vorsitzende des Ethikkomitees.

Therapiefreiheit bleibt beim Arzt

Worin auch immer nach sorgfältigem Abwägen und eingehender Diskussion im Konsil das Votum des ehrenamtlich tätigen Komitees ausfällt, es hat keine zwingenden Rechtsfolgen. „Wir sind keine Moralpolizei“, betont Tritthart.
Lediglich als Empfehlung sei das Ergebnis des Konsils gedacht – die Therapiefreiheit bleibe weiterhin beim behandelnden Arzt oder der Ärztin, die wie das gesamte Behandlungsteam auch am Konsil teilnehmen. In den seltenen Fällen, in denen der Patient ansprechbar ist, gehört auch er zum Konsil; manchmal sind Angehörige dabei. Das Ethikkomitee spricht abschließend eine Empfehlung aus, prüft aber nicht im Nachhinein, ob der Rat befolgt wurde.
Wohl aber wird es häufig präventiv tätig, nämlich im Bereich der Ärztefortbildung. Der Grundgedanke dahinter: Wer mögliche ethische Fragestellungen bereits vorab durchdacht hat, handelt in der konkreten Situation möglicherweise von vornherein anders oder holt sich rechtzeitig Hilfe.

„Unser Ziel ist es, dass Medizin nach den folgenden vier ethischen Grundprinzipien praktiziert wird: Respekt vor der Autonomie des Menschen, wohltun, nicht schaden und Gerechtigkeit schaffen“, erklärt Tritthart.
Nicht immer zeigt sich eindeutig, wie diese Prinzipien im Einzelfall konkret auszulegen sind. „Auch nach zehn Jahren intensiven Nachdenkens und konstruktiver Diskussionen gelangen wir immer wieder einmal an unsere Grenzen“, resümiert Tritthart. „Wir haben noch nicht ausgelernt.“

Zwischen Möglichkeit und Sinnhaftigkeit

Ein Auslernen im endgültigen Sinn wird es wohl nie geben, denn mit den rasanten Entwicklungen in der Medizin verändern sich naturgemäß auch die Fragestellungen, die an das Ethikkomitee herangetragen werden. „Mit zunehmenden medizinischen Möglichkeiten wird sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Machbaren immer häufiger stellen“, prognostiziert Sonja Fruhwald. Manchen PatientInnen kann durch die erweiterten technischen Möglichkeiten auf lange Sicht geholfen werden; viele andere werden – sollten wirklich alle medizinischen Optionen ausgeschöpft werden – lediglich zu chronisch kritisch kranken Pflegefällen.

Link zum Thema: http://othes.univie.ac.at/10764/

 

Kommission ≠ Komitee

Die Ethikkommission der Meduni Graz prüft geplante Forschungsprojekte wie klinische Tests von Arzneimitteln sowie die Anwendung neuer medizinischer Methoden auf ihre ethische Unbedenklichkeit. Sie ist aufgrund einer Vereinbarung mit der KAGes sowohl für das LKH-Universitätsklinikum Graz als auch für alle anderen LKH der Steiermark zuständig.

Davon zu unterscheiden ist das Ethikkomitee des Uniklinikums, ein maximal 14-köpfiges interdisziplinäres Team, das in konkreten schwierigen Einzelsituationen am Krankenbett die Behandelnden berät, welche weitere Vorgehensweise ethisch vertretbar sein könnte. Das Komitee versucht dabei, den Willen des Patienten – so er ihn nicht mehr selbst äußern kann – zu rekonstruieren.
Angefordert werden kann das Ethikkomitee von den Behandlern, aber auch von den Betroffenen oder deren Angehörigen. Im Schnitt tagt es jährlich um die 30 Mal, womit sich die Anzahl der Konsile im Vergleich zum Start des Komitees verdoppelt hat. Deutlich häufiger noch fragen behandelnde ÄrztInnen telefonisch um Rat, wobei viele Probleme bereits in diesem Erstgespräch gelöst werden können.

Mitglieder des Komitees am Grazer Klinikum sind ÄrztInnen, Mitarbeitende der Pflege, ein Jurist, ein Moraltheologe, PsychologInnen oder PsychotherapeutInnen und eine auf Ethik spezialisierte Philosophin.
Das Komitee ist der ärztlichen Direktion nicht weisungsgebunden unterstellt. Zur Zeit seiner Gründung vor zehn Jahren war das Grazer Ethikkomitee in Österreich das erste an einem Universitätsklinikum; in konfessionellen Krankenhäusern wie bei den Barmherzigen Brüdern gab es bereits vereinzelt derartige Gruppen.

Ursprünglich stammt die Idee aus dem angelsächsischen Raum. Laut Auskunft der KAGes verfügt mittlerweile jedes KAGes-Spital über einen interdisziplinären Ethikbeirat oder ist dabei, einen zu installieren.

 

Fotos: Meduni Graz, Furgler




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