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„Die Realität überholt uns“

Othmar Grabner, Präsident der steirischen Primarärztevereinigung und Chirurgie-Primar in Rottenmann, über heilige Kühe und Schadensbegrenzung.

Von Martin Novak

AERZTE Steiermark: Um die Medvision ist es zumindest öffentlich stiller geworden. Sie haben sicher eine persönliche Vision?
Othmar Grabner: Die Medvision resultiert aus der Vergangenheit. Seit vielen Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, versuchen wir, eine zeitadäquate Struktur in die Spitalslandschaft zu bringen. Das heißt, Fehler der Vergangenheit auszumerzen und möglichst zu vermeiden, neue zu machen. Das ist meine Wunschvorstellung. Dahinter muss ein Masterplan für die steirischen Spitäler stehen, der nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Strukturen erfasst. Die Planung muss wertfrei und vorurteilsfrei erfolgen. Das wäre meine Vision.

Jetzt wurde der RSG evaluiert, ohne große Veränderungen. Dadurch wurde aber wieder einmal in Erinnerung gerufen, wie sehr auch nur angekün¬digte Veränderungen verstören können. Wie realistisch ist „wertfrei“?
Grabner: Wertfrei ist es nur dann, wenn es jeden betrifft. Es kann nicht immer nur die Kleinsten treffen. Das ist der politisch einfachste Weg, weil sie sich am wenigsten wehren können. Verständnis für eine Umstrukturierung wird es nur dann geben, wenn jeder betroffen ist. Im positiven oder negativen Sinn. Das große Ganze muss nachvollziehbar sein. Es darf nicht nur ein Reagieren auf Äußerlichkeiten sein. Im RSG vermisse ich leider eine proaktive Planung.

Was ist eine proaktive Planung?
Grabner: Wenn ich mich nicht an den Spitalsstandorten und Abteilungen aufhänge, sondern am Grünen Tisch eine Blanko-Steiermarkkarte, die ich – hinterlegt mit den demografischen, topografischen Gegebenheiten – dem vorhandenen Zahlenmaterial und der modernen Verkehrsstruktur befülle. Dann sage ich, wir brauchen an diesem und jenem Ort ein Krankenhaus mit einem bestimmten Inhalt. Das muss eine Lösung sein, die für die nächsten 50 Jahre hält. Da darf es keine heiligen Kühe, die nicht geschlachtet werden können, geben. Es muss jeder betroffen sein, nur dann ist das Verständnis da.

Die Frage nach konkreten Beispielen verbietet sich dann?
Grabner: Ehrlicherweise ja.

Hinter vorgehaltener Hand wird darüber spekuliert, dass wir statt mehr als 20 vielleicht nur sieben Standorte brauchen.
Grabner: Ich glaube, dass man das diskutieren soll. Irgendwann muss man Tacheles reden, auch mit der Bevölkerung. Wenn wir genug Geld und Personal hätten, wäre es traumhaft, wenn es in jedem Bezirk zumindest ein Spital mit der gesamten Vorhalteleistung gäbe. Aber die ökonomische Entwicklung ist leider eine andere. Nur, eines muss man respektieren: Ein Steuerzahler in einem entlegenen steirischen Gebiet hat genau das gleiche Recht auf die qualitativ hochwertigste Versorgung, wie jemand, der im ersten Grazer Stadtbezirk wohnt.

Wie lässt sich das realisieren? Wer in Graz wohnt, wird wahrscheinlich immer eine bessere Versorgungsstruktur vorfinden als jemand, der im Gesäuse lebt.
Grabner: Das ist klar. Aber ich wünsche mir ein Augenmaß in der Planung der Standorte. Ich warne auch davor, mit Zahlengerüsten zu jonglieren und zu behaupten, Qualität kann man nur mit Großkliniken halten. Es muss sichergestellt werden, dass man in absehbarer Zeit eine gescheite Versorgung hat. Und die müssen wir definieren. Man darf hier nicht mit Eingriffshäufigkeiten beim Myokard-Infarkt argumentieren und deswegen Häuser zusperren. Wir brauchen eine Struktur an diesem Ort. Wie die Struktur ausschauen soll, ist derzeit noch nicht zu sagen. Da muss man sich zusammenraufen. Es gibt dafür Beispiele in Norwegen, Finnland oder Schweden. Auch in deutlich geringer besiedelten Gebieten haben die Menschen eine entsprechende medizinische Versorgung, nicht unbedingt eine primär ärztliche. Obwohl es gefährlich ist, das zu sagen.

Personalmangel gibt es ja auch in anderen medizinischen Berufen …
Grabner: Ja natürlich. Medizin heißt für mich immer Arzt und Pflege.

Gerade in der Pflege ist der Mangel evident.
Grabner: Ja natürlich.

Also müssen sich die Ärzte nicht fürchten, ersetzt zu werden?
Grabner: Man soll sich überhaupt nicht fürchten, auch nicht vor Veränderungen.

Stichwort Personalmangel. Die Reduktion der Ärztearbeitszeit wird ihn weiter verschärfen. Ist die derzeitige Verzögerungstaktik die richtige?
Grabner: Die richtige Methode, aber dafür ist es nun leider zu spät, wäre es gewesen, rechtzeitig Veränderungen vorzunehmen. Dass die Arbeitszeitregelung kommen wird, weiß man schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Beispiele, wie man damit umgeht, haben wir ja: Bei der AUVA gibt es eine weitgehend EU-konforme Arbeitszeitregelung schon seit Jahrzehnten – und deren Krankenhäuser funktionieren. Dort ist auch die Gehaltssituation eine andere, das ist die zweite Seite der Medaille.

Und was tut man jetzt?
Grabner: Jetzt geht es um Schadensbegrenzung, damit es nicht am 1. Jänner 2021 zu einer Implosion kommt.

Wie begrenzt man den Schaden?
Grabner: Übergangsfristen sind ein probates Mittel. Unter der Voraussetzung, dass diese Übergangsfristen, wie geplant, enden. Bekanntlich hält ja nichts in Österreich länger als ein Provisorium. Das Ziel muss es auch sein, schon jetzt Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Übergang dann selbstverständlich möglich wird. Und wenn wir es früher schaffen, ist mir das noch lieber.

Hunderte Medizin-Absolventen tauchen nie auf der österreichischen Ärzteliste auf. Müsste man nicht hier ansetzen?
Grabner: Ich kann nur mit den Leuten sprechen, die bei uns im Turnus sind, auf die kann ich einwirken. Da bekomme ich auch ein Feedback, da erfahre ich, wo es krankt und wo man drehen muss, damit die Arbeitszufriedenheit zunimmt. Bedingt kann ich mit Studenten sprechen. Es ist vielleicht ein altmodischer Ansatz, aber ich denke, dass Absolventen, zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit dort investieren sollten, wo sie ausgebildet wurden. Das kann man natürlich nicht vertraglich fixieren, aber ich würde es als moralische Verpflichtung empfinden. Da ist auch eine gesellschaftliche Diskussion zu führen. Wenn wir einerseits den Ärztemangel beklagen und den jungen Ärzten das anbieten, was wir uns leisten können, muss zumindest eine Diskussion darüber gestattet sein, ob diese nicht zumindest die Turnusausbildung hier absolvieren sollten.

Bringt der neue Turnusärztetätigkeitskatalog hier Abhilfe?
Grabner: Das hoffe ich schon. Ich fürchte nur, dass wir relativ spät dran sind. Jetzt hat uns das eingeholt, was in anderen Bundesländern schon länger Fakt ist. Das Projekt, sich um die Anliegen der Ärzte zu kümmern, finde ich fantastisch und ambitioniert. Aber die Realität überholt uns jetzt.

Die moralische Verpflichtung trifft aber auch die Träger. Die jungen Ärzte fühlen sich vielfach ausgebeutet.
Grabner: Da rennt man bei mir offene Türen ein. Turnusärzte sind Systemerhalter und sie sind Auszubildende. Sie sollen daher medizinische Tätigkeiten ausüben und nicht für Verwaltungsaufgaben missbraucht werden.

Die Reform der Ärzteausbildung ist fixiert. Die Reaktionen waren weitestgehend freundlich. Wie ist ihre?
Grabner: Das kann ich am besten für meinen eigenen Beruf, die Chirurgie, beurteilen. Wir laufen – fürchte ich – Gefahr, Fehler, die in Deutschland vor fünf oder zehn Jahren gemacht wurden, zu wiederholen.

Welche Fehler?
Grabner: In Deutschland wurde zum Beispiel ein Curriculum entwickelt, bei dem es am Ende keinen Allgemeinchirurgen mehr gab, obwohl ein großer Teil der deutschen Chirurgien Allgemeinchirurgien sind. Es gibt viel zu früh die Möglichkeit, in die Spezialisierung zu gehen. Aber das ist meine persönliche Sicht. Ob die Zufriedenheit durch eine Änderung der Weiterbildungsordnung allein steigen wird, wage ich zu bezweifeln.

Stichwort Bildung. Dazu gehört auch die Fortbildung. Bei der Beteiligung am Diplomfortbildungsprogramm, das der verlässlichste Nachweis der gesetzeskonformen Fortbildung ist, gibt es einige Defizite.
Grabner: Das ist auch die Verantwortung der Chefs, dafür zu sorgen, dass sich die Mitarbeiter entsprechend weiterbilden. Das muss man als Chef auch selbst machen. Das Sammeln der Fortbildungsbestätigungen wird aber vielfach als Belastung empfunden.

In den privaten und Ordensspitälern ist die Beteiligung weit höher als in den öffentlichen Krankenhäusern. Woran liegt das?
Grabner: Das ist multifaktoriell. Das hat mit der Einstellung des Dienstgebers zu tun – wenn es dem Kopf wichtig ist, wird es der restliche Körper auch tun. Ein Teil ist auch Frust. Weil wir täglich gefordert sind zu dokumentieren, wird es schwierig, wenn man alles beweisen und nachweisen muss. Mit einer zentralen Kongressverwaltung wäre das viel einfacher.

Die gibt es schon. 80 Prozent der Fortbildungsveranstalter geben die Daten zentral ein, wenn Ärzte ein DFP-Konto haben.
Grabner: Das ist offenbar ein Informationsmanko. Ich bin mir ganz sicher, dass das viele nicht wissen.

Ohne jetzt eine ELGA-Diskussion beginnen zu wollen: Obwohl die elektronische Gesundheitsakte in den Krankenhäusern zuerst Platz greifen wird, gibt es nur wenig Information in Richtung Ärzte. Redet man bei derartigen relevanten Veränderungen nicht oder zu spät mit den unmittelbar Betroffenen?
Grabner: Es wird immer behauptet, dass mit den Ärzten gesprochen wird, viele Ärzte mit denen vorab gesprochen wurde, kenne ich aber nicht. Von Bundesseite wird mit den „Usern“ spät oder gar nicht gesprochen. In der KAGes gibt es dagegen eine große Bereitschaft, Expertenmeinungen zu hören. Und im Gesundheitsbereich sind das die Ärzte.

Es wird den Ärzten zugehört, wird auch auf sie gehört?
Grabner: Ja, den Eindruck habe ich.

Sie arbeiten in einem obersteirischen Spital, in Rottenmann. Nun wird die Zentralspital-Entscheidung in eine ferne Zukunft verlegt. Begrüßen oder bedauern Sie das?
Grabner: Ich persönlich würde mir wünschen, dieses Zentralspital noch in meiner aktiven Zeit – nach den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen sind es zehn Jahre – zu erleben. Ich glaube, dass das für die gesamte Region einen großen Vorteil brächte.

Abschließend: Wie sehen Sie die nähere Zukunft?
Grabner: Der 1. Jänner 2015 macht uns Führungskräften große Sorgen. Wir sehen zwar, dass die KAGes-Führung vehement daran arbeitet, aber wir sehen noch keine Lösung dafür, um mit dem verfügbaren Personal das Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz einhalten zu können. Wir schaffen schon das bestehende kaum. Und wenn man die jungen Mitarbeiter fragt, werden wahrscheinlich nur 50 Prozent die Opting-out-Möglichkeit wahrnehmen. Da arbeiten wir gerne an Modellen mit, aber die Zeit ist sehr knapp. Und es ist ja auch nicht bekannt, ob die EU die Übergangsfristen überhaupt akzeptieren wird. Im Übrigen wird auch die KAGes in dieser Frage ziemlich alleingelassen. Ohne entsprechende finanzielle Möglichkeiten wird es immer ein Kraftakt der einzelnen Akteure sein. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann uns die Akteure ausgehen.

Mitarbeit: Daniel Rebernegg

 

Fotocredit: Schiffer 




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