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„Kommunikation ist sehr wichtig“

Die Grazer Ärztin Erika Wichro kommt aus der klinischen Forschung und hat bei Seuchenausbrüchen wie Ebola, Polio, Masern, Vogelgrippe (Steiermark) für dieWHO, dasCDC und die EU unter anderem in Afghanistan, Pakistan, Syrien, Ghana, Sierra Leone und bei der Influenza-Pandemie-Planung in Österreich mitgewirkt. Wir haben mit ihr über das COVID-19-Krisenmanagement gesprochen.

AERZTE Steiermark: Verfolgt man die Umgangsweise mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2, ist nur der Eindruck einer weltweiten Großkatastrophe möglich. Ist dieser Eindruck aus Ihrer Sicht berechtigt?

Wichro: Die momentan große mediale Aufmerksamkeit ist meiner Erfahrung nach die Reaktion auf das Ungewisse und basiert vorwiegend auf Annahmen, welche in alle Richtungen diskutiert werden – bis dann mehr Klarheit besteht. Hinsichtlich COVID-19 ergeben sich täglich neue Erkenntnisse. Solange die Diskussionen mit Fakten und tatsächlichem Wissen untermauert werden, sind sie hilfreich. Die Behörden haben sich mittlerweile via regelmäßiger täglicher Presse­meldungen und Informationsupdates, der Einrichtung von Hotlines und psychosozialen Telefonkontakten und der Ankündigung anderer sozialer Unterstützungsmöglichkeiten den Informationsbedürfnissen der Bevölkerung angepasst.

Was müssen lokale, regionale und nationale Gesundheitsbehörden in einer solchen Situation machen, damit geordnet und wirkungsvoll agiert wird?

Wichro: Wichtig sind der koordinierte Informationsaustausch und eine sehr gute Kommunikation innerhalb der zuständigen Behörden auf allen Ebenen, um einen Widerspruch beziehungsweise Missverständnisse zu vermeiden. Die gezielte Einbindung der Medien von Anfang an ist ebenso wichtig, weil damit Fakten, Ratschläge und Maßnahmen an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Wie bei der Influenza-Pandemie-Planung im Jahr 2006 und dem damals aufgetretenen Vogelgrippefall im Tierpark Herberstein haben alle relevanten Gesundheitsbehörden sehr souverän gehandelt. Im Falle von Krankheitsausbrüchen wie diesem, ist es unumgänglich einen Krisenstab zu haben, der koordinierte Maßnahmen im Rahmen eines Krisenplanes initiiert, die eine weitere Ausbreitung verhindern bzw. minimieren. Zudem ist es notwendig, dass alle Krankenhäuser, Anlaufstellen wie Arztpraxen sowie andere Gesundheits- und öffentliche Einrichtungen über zu setzende Maßnahmen und Abläufe wie Hygiene, Isolierung, Transporte, Testung und Diagnose informiert werden und auch bei regelmäßigen Updates inkludiert sind. Kommunikation ist sehr wichtig. In diesem Zusammenhang ist es essentiell, dass die relevanten Behörden auch außerhalb der regulären Dienstzeiten (nachts, sonn- und feiertags) via Hotline erreichbar sind, um Anfragen und Besorgnisse der Bevölkerung professionell und rasch zu beantworten. All diese Abläufe sind via Krisenpläne festgelegt und ihnen ist bei Bedarf Folge zu leisten.

Was sind die größten Fehler, die unter diesen Umständen passieren können?

Wichro: Inkonsistente Kommunikation, fehlende Information und vor allem fehlender Rat, wohin man sich bei Anfragen wenden kann. Eine „9 bis 17 Uhr-Auskunft“ mit langer Telefonwarteschleife ist kontraproduktiv. Widersprüchliche Aussagen hinsichtlich durchzuführender Maßnahmen sorgen für unnötige Verwirrung. Klare Anweisungen mit Erklärung des jeweiligen Nutzens werden als äußerst hilfreich empfunden und generell gut aufgenommen. Regelmäßige Updates und Wiederholung bekannter Fakten sowie offenes Beantworten von Fragen schaffen ebenfalls Vertrauen und erhöhen die Compliance, also die Durchführung von instruierten Maßnahmen.

Faktum ist, dass vieles unscharf ist – infektiologisch, epidemiologisch und wohl auch organisatorisch. Darf man Unsicherheit zugeben oder muss man souverän bleiben?

Wichro: Jede neue, ungewohnte Situation birgt Unsicherheit. Gerade deswegen zeichnet sich professionelles und souveränes Handeln durch die Generierung von bekanntem und neuem Wissen aus. Durch die Erklärung der Erkenntnisse wird Verwirrung und potentiellem Misstrauen entgegengewirkt. Damit geht man auf eine sich rasch ändernde Lage ein, ermöglicht koordinierte Zusammenarbeit aller Involvierten und sichert somit, dass Erkenntnisse in einvernehmlicher Art und Weise klar kommuniziert werden. Somit wird Verwirrung, Desorientiertheit und Verunsicherung vorgebeugt, was wiederum verhindert, dass sich Panik, Hamsterkäufe und daraus resultierende kriminelle Handlungen ausbreiten.

Zeiten von Epidemie sind immer auch Zeiten der Angst und der Gerüchte. Wie sollen die bekämpft werden? Geht das überhaupt?

Wichro: Es gibt einige sehr gute Beispiele, wie mit schwierigen Zeiten und Unsicherheit hinsichtlich Risiko-Kommunikation umgegangen werden kann. Diese Beispiele beinhalten faktenbasierte, klare Aussagen und die Generierung von regelmäßiger Information. Updates für die Bevölkerung sind dabei unumgänglich. Zudem ist es sinnvoll, alle verfügbaren Medien für die Kommunikation und Wissensgenerierung hinsichtlich notwendiger Eindämmungsmaßnahmen zu nutzen. Generell fühlen Menschen sich gut, wenn sie einen aktiven Beitrag leisten können: zum Beispiel regelmäßigen Telefon- oder Onlinekontakt pflegen mit jenen Menschen, die sie nicht besuchen können. Es sind die vermeintlich kleinen, täglichen Gesten, die Menschen in einer Krise verbinden.

Gibt es ein Land oder eine Region, die aus Ihrer Sicht alles richtig macht?

Wichro: Jedes Land hat eigene Strategien und bezieht dabei kulturelle, sozioökonomische und andere Faktoren mit ein. Wichtig ist es, dass Länder funktionierende Krisenpläne haben, die je nach Szenario adaptiert werden.

Sie kommen aus der Wissenschaft und sind ins Katastrophenmanagement gegangen. Warum?

Wichro: Ich komme ursprünglich aus dem klinisch-medizinischen Bereich und habe im Laufe der Zeit meine besondere Vorliebe für bereichsübergreifende Arbeit entdeckt. Dabei haben mich die Vielfalt und die Diversität fasziniert. Im klinischen Alltag hat man die Möglichkeit, eine begrenzte Anzahl von Menschen zu betreuen und in ihrem Heilungsprozess zu unterstützen. Die Wissenschaft hat mir jedoch gezeigt, dass noch viel mehr möglich ist – gerade im Bereich der Prävention und Preparedness. Meine Passion habe ich im Katastrophenmanagement gefunden, weil es interdisziplinär, multisektoral, besonders herausfordernd, vielfältig und extrem spannend ist. Das Katastrophenmanagement beschäftigt sich unter anderem mit der Planung, Vorbereitung und dem eigentlichen Management von Katastrophen jeglicher Art sowie der Aufarbeitung von relevanten Daten, Analysen, Kapazitätsbildung und noch viel mehr. Dadurch erreicht man die größte Anzahl von Menschen und fördert dabei gleichzeitig die Resilienz und Nachhaltigkeit in der Bevölkerung.

Welche Eigenschaften müssen Menschen haben, um derartige Ereignisse erfolgreich zu managen?

Wichro: Neben fachlicher Kompetenz sind hohe Stress­toleranz, Flexibilität, analytisches Denken, Koordinationsfähigkeit sowie soziale Kompetenzen wie Personalführung, Kommunikation und rapide Vertrauensbildung notwendig. Die eigene Bereitschaft, die persönliche Komfortzone zu erweitern und sich auf das Unbekannte einzulassen, sind weitere essentielle Attribute. Daneben sind die Bereitschaft rasch zu handeln, das eigene Ego gering zu halten sowie eine hohe Lernbereitschaft und Navigationsbereitschaft entscheidend.

Ein wesentlicher Punkt ist die Kommunikation. Was ist dabei zu beachten?

Wichro: Mittlerweile gibt es schon sehr gute Richtlinien für Risiko-Kommunikation bzw. Kommunikationsstrategien im Krisenfall. Wichtig dabei ist, dass die Fakten klar kommuniziert werden und Bekanntes regelmäßig wiederholt wird. Relevante Neuerungen sollen rasch an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Nichts ist schlimmer als eine orientierungslose, hilflose Bevölkerung, die extrem gut auf sozialen Medien vernetzt ist und sich demnach mit verfügbarer Information versorgt, inklusive potentieller Fake-News.

Sie waren persönlich immer interdisziplinär tätig. Wie gelingt es, die unterschiedlichen Positionen, die medizinische Fachleute, die Politik und das Krisenmanagement einnehmen, ideal zu vereinigen?

Wichro: Viele Disziplinen tendieren dazu ihre „eigene“ Sprache zu sprechen und bewegen sich vorzugsweise in ihren gewohnten Umfeldern. Für mich besteht die Herausforderung und gleichzeitig die Erfüllung in der interdisziplinären Tätigkeit darin, die „unterschiedlichen Sprachen“ der jeweiligen Bereiche zu verstehen und zu sprechen, sodass gemeinsame Ziele formuliert und erreicht werden können. Gerade im Katastrophenbereich ist dies unabdingbar, weil es um Ressourcen, Kapazitäten und Koordination geht. Die ideale Vereinigung besteht darin, dass interdisziplinär gemeinsame Ziele formuliert werden, die dem Land und somit der Bevölkerung dienen. Dafür müssen die Disziplinen aus ihrem Elfenbeinturm kommen und mittels proaktivem Zuhören und Interagieren wertvolles Wissen und Erfahrungen austauschen, damit Perspektiven auf einer Win-Win-Basis erweitert werden können. Die vorhandene Vielfalt ist derzeit noch auf allen Ebenen zu wenig genutzt und ungeahntes Potential liegt brach. Gerade im Falle einer Katastrophe, wo anfangs immer Unsicherheit, Chaos und viele andere Faktoren eine Rolle spielen, ist es wichtig ein gutes, erprobtes Netzwerk aus unterschiedlichen Fachexpertisen zu haben, auf das man bei Bedarf zurückgreifen kann. So wie die EU bei konkreter Anfrage im Rahmen des Zivilschutzmechanismus auf nationale Expertise zurückgreift. Im Falle einer Katastrophe gilt der Bevölkerungsschutz und eine Schadenskontrolle bzw. -begrenzung.

Gibt es eine Krise, von der Sie sagen, sie wurde besonders erfolgreich bewältigt? Wenn ja, warum?

Wichro: Keine Krise gleicht der anderen. Daher beinhaltet für mich persönlich eine erfolgreich gemeisterte Krise noch weitere Komponenten – wie zum Bespiel die Flexibilität, sich an Veränderungen anzupassen; die Lernfähigkeit und das Adaptierungsvermögen der Entscheidungsträger und des Schlüsselpersonals auf allen Ebenen; die Dauer der Unsicherheit und das Chaos (die mit der raschen Funktionsfähigkeit des Krisenstabs zusammenhängen); exzellente Innen- und Außenkommunikation, die kritische Reflexion aller Akteure/Stakeholder und daraus gelernte Lektionen, die wiederum in bestehende Krisenpläne eingebaut werden. Das Ziel ist somit, alle Lernprozesse und Best-Practice-Beispiele zu dokumentieren und diese in die bestehenden Krisenpläne, Trainings und Übungen für den nächsten Ernstfall einfließen zu lassen. Dabei handelt es sich um einen Prozess der kontinuierlichen Weiterentwicklung – ganz im Sinne der zum Beispiel stattfindenden technischen Entwicklungen (3G zu 4G zu 5G).

Das Gespräch – per E-Mail – führte Martin Novak.

 

Noch nie erlebt

Eine weltumspannende Gesundheitskrise dieser Dimension hat auch Erika Wichro noch nie erlebt. Das hat niemand. Was Wichro aber nicht nur erlebt, sondern mitorganisiert hat, ist das Outbreak-Management in verschiedensten Ländern und auf verschiedenen Kontinenten.

Ihr Spektrum reicht von der Steiermark bis Afrika und Asien, ihre Auftraggeber von der steirischen Landesregierung über die US-Seuchenbehörde CDC bis zur EU und zur WHO. Heute ist die Ärztin international als Fachberaterin und Lehrende tätig. Ihre Einschätzung der Lage hat also Gewicht. Siehe dazu auch ihre Biografie auf der folgenden Seite.

Wer ist Dr. Erika Wichro?

Dr. Erika Wichro ist eine österreichische Medizinerin und Expertin für Internationale Öffentliche Gesundheit, deren interdisziplinäre berufliche Erfahrung aus über zehn Jahren klinischer Arbeit in Graz und mehr als sieben Jahren internationaler Einsatztätigkeit in Afghanistan, Pakistan, in der Türkei (für Syrien), in Ghana, Sierra Leone, Sambia, den Salomonen und anderen Ländern im Pazifik besteht.

Sie ist im Katastrophenschutz in verschiedenen Funktionen und Programmen weltweit tätig und hat bei Krankheitsausbrüchen für die Weltgesundheitsorganisation und andere Institutionen mit ihrer Expertise im Outbreak-Management, der Krankheitseindämmung, dem Risikoassessment und der Entscheidungsfindung in internationalen Krisen wie Ebola, Polio, Masern für die WHO, CDC, die Europäische Kommission sowie die steiermärkische Landessanitätsdirektion für die Influenza-Pandemie-Planung mitgewirkt.

Kommunikation ist für Wichro nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus psychosozialer Sicht wichtig, worin sie als Mitglied des Kriseninterventionsteams Steiermark (KIT Land Steiermark) speziell geschult ist. Dies bringt sie auch als Expertin im EU-Zivilschutzverband ein. Dr. Wichro hat in der Forschung im Zusammenhang mit Biomarkern und personalisierter Medizin sowie im Krisen- Response-Journal publiziert.

Der Bereich der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankungen ist ihr ebenso geläufig wie die psychosoziale Versorgung der syrischen Bevölkerung und die logistischen Herausforderungen bei internationalen Kriseneinsätzen. Dr. Wichro ist auch in der Lehre tätig und hat die die Fähigkeit der Medizinstudierenden im Rahmen der medizinischen Ethik erweitert. Sie hat bislang mehrere Vorträge auf internationalen Kongressen gehalten und war zuletzt bei einigen Sitzungen bzw. Sessions Vorsitzende bzw. Co-Vorsitzende, so beim Weltkongress der Emergency Medical Teams in Bangkok.

Neben medizinischer Ethik ist sie auch in ökonomischer Ethik und in internationalem Recht in bewaffneten Konflikten ausgebildet. Dr. Wichro hat als Expertin des EU-Zivilschutzverbandes zahlreiche Ausbildungen im Rahmen der Institution sowie von UNDAC (United Nations Disaster Assessment and Coordination Teams) absolviert. Sie ist Trainerin beim High-Level-Koordination Kurs und dem Kurs für Negotiation and Decision-Making (Verhandlung und Entscheidungsunterstützung) des Zivilschutz-Mechanismus der EU .

Als Editorial Board Member bei verschiedenen Journals liefert sie regelmäßig Beiträge. Sie sieht ihre Aufgabe darin Lehre, Forschung, field operations, strategische Arbeit sowie policy-making zu vernetzen, um damit das multi-/interdisziplinäre Vermögen und Resilienz in der Bevölkerung zu steigern.

 

AERZTE Steiermark 04/2020




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