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Ärztemangelwirtschaft

Ärztinnen und Ärzte werden importiert und exportiert. Der Mangel an Ärzten auch.

Von Martin Novak

Österreich hat eine negative Handelsbilanz zu Deutschland. Das heißt: Deutschland importiert mehr Waren nach Österreich als umgekehrt. Anders ist es im ärztlichen Bereich. Hier verzeichnet Österreich einen Exportüberschuss. Fast 2.500 österreichische Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Deutschland (mehr als die Kärntner Ärztekammer ordentliche Mitglieder hat), nur 1.000 deutsche ÄrztInnen in Österreich.

Ärzteimport ist eine Maßnahme gegen den Ärztemangel. Rund 32.500 ausländische Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Deutschland. Von 2011 auf 2012 ist die Zahl um fast 15 Prozent gestiegen. Bis 2011 war Österreich – wohl wegen der Nähe und der fehlenden Sprachbarrieren – unbestrittener Spitzenreiter. 2012 stieg die Zahl der österreichischen Ärztinnen und Ärzte aber nur um vergleichsweise moderate 5,4 Prozent, während die Ärzteimmigration aus osteuropäischen EU-Ländern und den südlichen Krisenstaaten, mit Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich, regelrecht explodierte. Die „Führung“ übernahm nun Rumänien (rund 2.900 Personen, Zuwachs um mehr als 38 Prozent), vor Griechenland (mehr als 2.500 Personen, Zuwachs knapp 15 Prozent). Die prekäre wirtschaftliche Situation in den eigenen Ländern ist ebenso eine Erklärung wie der Wegfall der Übergangsbestimmungen, die es ArbeitnehmerInnen aus östlichen EU-Ländern bisher erschwerten, nach Westeuropa zu übersiedeln.

Entscheidend ist aber, dass Deutschland diese ausländischen Ärztinnen und Ärzte braucht. Und eine Vielzahl von Maßnahmen setzt, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. Das beginnt bei der Sprachausbildung, betrifft die Unterstützung bei der Überwindung administrativer Hindernisse und die Eingliederung in für manche ungewohnte Strukturen. Deutschland kämpft offensiv gegen den Ärztemangel. Sieben Prozent der deutschen Ärztinnen und Ärzte sind keine Deutschen, und der Anteil steigt: Die Zahl aller Ärztinnen und Ärzte stieg von 2011 auf 2012 um 2,1 Prozent, die der ausländischen um 14,8 Prozent.

Die Lösung des Ärztemangels durch Import wirft aber gleichzeitig Probleme auf. Neben praktischen, wie interkulturell und sprachlich bedingten Kommunikationsproblemen, auch ethische. Wer anderen Ländern Ärzte wegnimmt, um den Ärztemangel im eigenen Land zu lindern, verursacht gleichzeitig Ärztemangel in den Ländern, aus denen die Einwandernden kommen. Betroffen sind vor allem wirtschaftlich schwache Staaten, Schwellenländer – und Österreich.

Wobei auch Österreich aus ärztlicher Sicht im wirtschaftlichen Vergleich zu Deutschland eher ein Schwellenland ist. Laut einer 2011 veröffentlichten KPMG-Studie der westeuropäischen Ärzteeinkommen ist Österreich in allen untersuchten Kategorien von den Anfängern bis zu den berufserfahrenen Leitern durchwegs im untersten Bereich zu finden, Deutschland immer im obersten Drittel.

Junge Ärztinnen und Ärzte wissen die besseren (nicht einfacheren) Ausbildungsbedingungen in Deutschland zu schätzen. Dort erleben sie in weit größerem Maß ärztliche Arbeit von Anfang an und fühlen sich nicht als Systemerhalter missbraucht.

„Wenn weniger als vier von fünf Studierende der Humanmedizin nach erfolgreich abgeschlossenem Studium kurativ in Deutschland tätig werden, so ist dies ein Alarmsignal erster Ordnung. Bevor also im Angesicht des zunehmenden Ärztemangels die Anzahl der Studienplätze erhöht wird, muss zuvor darüber nachgedacht werden, wie die Arbeitswelt attraktiver gestaltet werden kann“, warnte der Chirurg und 2. Vorsitzende des Marburger Bundes, Andreas Botzlar, 2009 auf einem Symposium.

Einiges ist in Deutschland mittlerweile geschehen. Österreichische Bundesländer in Grenznähe zu Deutschland haben mittlerweile ihr Problembewusstsein geschärft und sind bei den Ärzteeinkommen nachgezogen.

Aber noch ist der Kampf gegen den absehbaren Ärztemangel in Österreich kein politisches Programm. Nur: Demografische Probleme lassen sich nicht zeitnah lösen. Absolventinnen und Absolventen der Medizinischen Universitäten, die sich heute für eine postpromotionelle Ausbildung in Deutschland oder überhaupt gegen die kurative Medizin entscheiden, werden in fünf bis 15 Jahren keine Patientinnen und Patienten in Österreich betreuen. Dass Krankenhäuser mit punktuellen Maßnahmen die aufkeimenden Probleme – noch – kaschieren können (längst können es nicht mehr alle), darf nicht schöngeredet, sondern muss als halbwegs rechtzeitige Warnung ernst genommen werden. Die 2012 veröffentlichte österreichische Ärztebedarfsstudie weist auf einen Ärztemangel hin, der in rund zehn Jahren wohl spürbar sein wird. Ines Czasný, Statistikerin im ÖBIG und eine der Autorinnen, weist allerdings auf die unzureichende Datenlage hin. Noch weiß man nicht, wie sich die Veränderungen im österreichischen Studiensystem auf den Output auswirken werden und auch nicht, wie viele der deutschen Medizinstudierenden nach der Promotion in Österreich bleiben und arbeiten werden.

Das Dilemma: 2016, wenn die Auswirkungen des neuen Studiensystems abschätzbar sind, ist es schon sehr spät, um ohne spürbare Mangelerscheinungen gegensteuern zu können.

„Für die Abschätzung des künftigen Ärztebedarfs ist neben den reinen Personenzahlen auch deren Tätigkeitsausmaß von Bedeutung“, heißt es in der zitierten Studie: Im Klartext: Es geht nicht nur darum, wie viele Ärztinnen und Ärzte arbeiten, es geht mehr noch darum, wie viel und wo sie arbeiten wollen.

Die Fragen:

  • Wie viele der Absolventinnen und Absolventen Medizinischer Universitäten gehen in Österreich in die kurative Medizin? Wie viele weichen in andere Bereiche (Forschung, Wellness …) aus, wo die Arbeitsbedingungen weniger belastend sind und es „normale“ Arbeitszeiten gibt?
  • Welche Auswirkungen werden der höhere Frauenanteil in der Medizin (er stieg im Zeitraum von 2000 bis 2008 von 37 auf 43 Prozent, im Turnus waren 2008 60 Prozent Frauen), aber auch das geänderte berufliche Selbstverständnis von Männern (Stichwort work-life-balance) auf die Lebensarbeitszeit haben?
  • Wie verändert sich das Pensionsalter?
  • Wie viele österreichische Mediziner werden in Zukunft nach Studienabschluss ins Ausland abwandern (das hängt auch stark von den Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen ab)?
  • Wie viele der ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin werden bereit sein, in Landarztpraxen zu gehen?

Ein ganzes Potpourri aus Entscheidungen, individuellen und strukturellen, wird also darüber entscheiden, wann und in welcher Schärfe sich ein Ärztemangel auswirkt. Aber eines scheint gewiss: Nichts zu tun, den Mangel zu ignorieren und totzuschweigen, ist die gefährlichste Lösung. Weil sie keine ist.

 

Fotocredit: Fotolia

 




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