AERZTE Steiermark | Februar 2023

Ærzte Steiermark || 02|2023 29 Fortbildung Foto: maria Taferner rigkeiten bei der dauerhaften Lebensstiländerung braucht es zusätzlich medikamentöse Hilfe. „Der pharmazeutische Ansatz hat lange nur sehr schlecht funktioniert. Viele Medikamente zeigten inakzeptable Nebenwirkungen und wurden auch nach wenigen Jahren vom Markt genommen“, so Lerchbaum. Mit dem GLP-1 Analogon (Liraglutid, Saxenda®) sei nun ein Medikament auch für die Gewichtsreduktion zugelassen, das zuvor schon im Diabetes-Management eingesetzt wurde, zu dem also schon Langzeitdaten vorliegen. Zugelassen ist es ab einem BMI von 30 oder von 27 bei Vorliegen von Komorbiditäten. „Damit lässt sich nicht nur eine Gewichtsreduktion von 10 bis 15 Prozent erzielen, sondern auch eine deutliche Verbesserung der Komorbiditäten.“ Allerdings muss das Medikament täglich subkutan gespritzt und selbst finanziert werden. „In Österreich schon zugelassen, aber noch nicht am Markt ist Semaglutid mit dem Handelsnamen Wegovy®. Es gibt noch ein Lieferproblem, weshalb das Medikament erst im Laufe des Jahres erhältlich sein wird.“ Noch vor der Zulassung zur Gewichtsreduktion (zur Diabetesbehandlung wird er bereits eingesetzt) steht der Wirkstoff Tirzepatid, ein duales Inkretinmimetikum mit GIP- und GLP-1-Rezeptor-Agonisten. GIP steht für Glukose-abhängiges Insulinotropes Polypeptid; GLP für Glukagon-ähnliches Peptid. Tirzepatid hat in den klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt und soll bis zu 25 Prozent Gewichtsreduktion bringen. Bewahrheitet sich diese Erfolgsrate bei breiterer Anwendung, kann damit Menschen mit Adipositas bis zu einem BMI von 40 ohne chirurgischen Eingriff geholfen werden. Individuelles Langzeitmanagement Mit Saxenda® hat Lerchbaum bereits Erfolge erzielt – bei einer geringen Abbruchrate. Die gastrointestinalen Nebenwirkungen seien, so Lerchbaum, bei den meisten in den Griff zu bekommen, über langsame Dosissteigerung und bewusste Wahl des Applikationszeitpunktes. Die Nebenwirkungen seien sogar Teil des Wirkmechanismus: Stellt sich rasch ein Völlegefühl ein, überlegt man es sich zweimal, ob man noch weiterisst. Drei Monate zum Umlernen des Essverhaltens seien normal, nach einer Stabilisierungsphase könne man das Medikament dann ausschleichen. „Adipositas bleibt nt „interdisziplinäre Angelegenheit“ allerdings eine chronische Erkrankung“, betont Lerchbaum. „Es braucht unbedingt ein individuel les Langzeitmanagement, mit professioneller Ernährungsberatung durch Diätolog:innen, psychologischer Begleitung zur Verhaltensmodifikation und gut wäre auch eine fortlaufende Selbsthilfegruppe Betroffener.“ In kritischen Phasen, in denen das Essverhalten wieder in alte Muster kippt, könne es notwendig werden, das Medikament wieder eine Zeitlang zu nehmen. Nicht außer Acht zu lassen ist auch der Konnex zwischen psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere der Depression, und Adipositas. „Hier gibt es eine extrem hohe Koinzidenz, wobei ein Teufelskreis entsteht: Wer dick ist, wird aufgrund der gesellschaftlichen Ächtung leicht depressiv. Menschen mit Depression fehlt oft der Antrieb, sich sportlich zu betätigen und sich Gesundes zu kochen. Außerdem führen viele Antidepressiva und auch die Schlafstörungen, die mit der Depressio einhergehen, zu einem Gewichtsanstieg.“ Ärztliche Wertschätzung Ein persönliches Anliegen ist für Lerchbaum, die Awareness in Bezug auf Adipositas bei Kindern und Jugendlichen zu steigern. In der Pandemie hat sich die Problematik weiter zugespitzt, sodass bei Kindern unter zehn Jahren ein Drittel der Buben und ein Viertel der Mädchen bereits übergewichtig sind. In jungen Jahren sei über Bewegung und Ernährung noch viel Verbesserungspotential gegeben – und Folgeerkrankungen könnten von vornherein vermieden werden. Im Gespräch mit den Kindern und ihren Eltern sei vorsichtig Begleitung anzubieten und die Veränderungsbereitschaft auszuloten. „Viele Menschen mit Adipositas fühlen sich mit ihren Schwierigkeiten nicht ernst genommen. Sie bekommen immer noch zu hören, sie sollen sich doch einfach zusammenreißen. Adipositas resultiert aber weder aus Faulheit noch aus Charakterschwäche. Sie ist eine chronische Erkrankung!“, konstat iert Lerchbaum. „Betroffene brauchen Ärztinnen und Ärzte, die ihnen mit Wertschätzung begegnen.“ Bei den Seminaren im März wird Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Lerchbaum am Dienstag, 28. März 2023, von 15.00 bis 18.00 Uhr in der Ärztekammer für Steiermark über „Modernes AdipositasManagement“ referieren. Details unter: www.seminareimmaerz.at „Realistisch ist ein Verlust von drei bis fünf Prozent des Körpergewichts durch Lebensstiländerung, also durch gesunde Ernährung, mindestens 150 Minuten moderaten Ausdauersport pro Woche plus zusätzliches Krafttraining.“ Elisabeth Lerchbaum

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