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Ærzte

Steiermark

 || 05|2016

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Die Juristen sagen es klar: „Mystery Shopping“

ohne Anlass und ohne Verdacht schießt weit über

das Ziel hinaus.

Die Verantwortlichen in den Sozialversicherun­

gen sagen klar, dass der Schaden, den Mystery

Shopping verhindern soll, gar nicht existiert oder

geben zumindest zu, dass ihnen kein Schaden

bekannt ist.

Patientinnen und Patienten sind genauso wie

Ärztinnen und Ärzte darüber empört, dass sie

unter den Generalverdacht gestellt werden, die

Gemeinschaft der Krankenversicherungszahler

systematisch zu hintergehen.

Aber trotz aller Fakten, trotz aller Skepsis auch

in der Politik, trotz allen Widerstands fährt der

Mystery Shopping-Zug einfach weiter. Selbst mit

den besten Argumenten lässt er sich offenbar

nicht aufhalten.

Da ist es kein Wunder, wenn die Politik(er)ver-

drossenheit immer größer wird, wenn der Zorn

zunimmt, wenn die Erwartungen immer geringer

werden.

So wie es aussieht, wird es nur auf dem Rechts-

weg möglich sein, Mystery Shopping als Gene-

ralmaßnahme zu stoppen. Das wird natürlich

einige Zeit dauern. Es braucht einen Kläger, der

erst dann tätig werden kann, wenn nicht nur das

Gesetz, sondern auch die Ausführungsrichtlinie

in Rechtskraft ist.

Wie lange das hingehen kann, weiß man. Umso

größer wird die Peinlichkeit sein, wenn Mystery

Shopping sich dann als rechtswidrig herausstellt.

Und natürlich wird es dann wieder keiner gewe-

sen sein wollen. Aber das Vertrauen in die poli-

tischen Entscheidungsträger sinkt damit weiter,

einen Generalverdacht gibt es ja schon.

Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli

ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.

extra

Weiterer Kurienbericht ab Seite 44.

Jörg Garzarolli

Politik unter

Generalverdacht

debatte

Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Mediendienst/Furgler, Oliver Wolf. Grafik: Mirko Maric´

Standortbestimmung

Herwig Lindner

Im Zweifelsfall kein Krankenstand

für Unbekannte mehr

Die Katze ist aus dem Sack: Mit der Mystery Shopping-Richtlinie

hat sich der Hauptverband die Lizenz zum Tarnen und Täuschen

gegeben. Und nicht nur das: Die Krankenversicherungsträger

sind praktisch gezwungen, systematisches Mystery Shopping zu

betreiben, ob sie es selbst für sinnvoll halten oder nicht. (Und

so manche werden es nicht für sinnvoll halten, weil es viel Auf-

wand und wenig Nutzen verspricht.)

Nun wird der Rechtsweg beschritten. Der Verfassungsgerichts-

hof soll entscheiden, ob Spitzel der Krankenkassen etwas dürfen,

was sogar den Sicherheitsbehörden ver-

boten ist – unbescholtene Bürgerinnen

und Bürger, in dem Fall Ärztinnen und

Ärzte, ohne „Anfangsverdacht“ zu einer

illegalen Handlung anzustiften.

Bis dieses Verfahren abgeschlossen

ist, haben Ärztinnen und Ärzte zwei

Möglichkeiten. Entweder sie lehnen

die Krankmeldung bei Unbekannten

im Zweifelsfall ab, diese könnten ja als Spitzel immer versuchen,

eine Lüge aufzutischen („Ich habe unerträgliche Schmerzen,

Frau Doktor“, „ich fühle mich so grippig, Herr Doktor“). Oder

sie veranlassen eine komplette Durchuntersuchung, Labor, Rönt-

gen, CT, MR …, was immer im konkreten Fall auch angemessen

wäre, um die Aussagen der Patientin, des Patienten zu bestätigen

oder zu widerlegen. Das wäre eine ziemlich teure Methode, und

wahrscheinlich würde sich die jeweilige Krankenkasse wegen der

hohen Kosten bald bei der Ärztin oder beim Arzt melden, die

„Verursacher“ sind.

Die Ursache ist natürlich nicht die Ärztin oder der Arzt. Die Ur-

sache ist diese völlig überzogene Regelung. Denn: Patientinnen

und Patienten, die häufig unerklärliche und unerklärlich lange

Krankenstände haben, werden ja heute schon kontrolliert. Und,

das nur am Rande, es gibt keine validen Zahlen über „erschli­

chene Krankenstände“, allerdings kennen wir das auch in den

Medien immer wieder beklagte Phänomen, dass Menschen trotz

Krankheit zur Arbeit gehen.

Kurz: In jedem auch noch so geringen Zweifelsfall, die (unbe-

kannte) Patientin, den Patienten gleich direkt zum chefärzt-

lichen Check in die Krankenkasse zu schicken, ist die verant-

wortungsvolle Entscheidung. Und vielleicht führt das ja dazu,

dass diese Regelung doch überdacht wird.

Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.