Background Image
Previous Page  18 / 76 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 18 / 76 Next Page
Page Background

18

ÆRZTE

Steiermark

 || 10|2015

Fotos: Harry Schiffer

#OFFENEWORTE

„Es muss mehr drinnen sein“

In der Betreuung alter Menschen

fehlt es an vielem. Darüber waren sich die Teilneh-

mer der Diskussionsveranstaltung „Alte Eisen – neue Wege“ einig. Dem Motto der Reihe

„#offeneworte“ wurde der Abend mehr als gerecht.

MARTIN NOVAK

Wie ist es um die Betreuung

älterer, alter und hochaltriger

Menschen bestellt? Das war

Ende September das Thema

einer bewegten Diskussions-

veranstaltung im Rahmen der

Reihe #offene Worte.

Mit dem ehemaligen Rektor

der Karl-Franzens-Universi-

tät, dem Manager und Wirt-

schaftswissenschafter Alfred

Gutschelhofer, fand sich da-

für ein Keynote-Speaker, der

die eigene Erfahrung bei der

Betreuung seiner Eltern mit

allgemeiner Systemkenntnis

zu verknüpfen wusste. „Es

ist ein Thema, das in der Ge-

sellschaft schon lange brennt“,

sagte Gutschelhofer. Aber es

brennt im Verborgenen. Denn

die Schuld an der eigenen

Krankheit – oder auch nur

Einschränkung – werde oft

den Betroffenen, und wenn

diese aufgrund einer men-

talen Beeinträchtigung die

Schuldzuweisung nicht mehr

wahrnehmen könnten, den

Angehörigen gegeben. Dabei

müsse „mehr für die Gruppe

drinnen sein, die Hilfe am

dringendsten benötigt“. Da-

bei würde die Betreuung und

Pflege in einzelnen Bereichen

durchaus gut funktionieren,

nur gäbe es zwischen diesen

einzelnen Bereichen große,

teils für Betroffene und Ange-

hörige kaum überwindliche

Gräben. „Aber“, so der Re-

ferent, „meine Mutter inte-

ressiert es nicht, wenn sich

Funktionäre jahrzehntelang

nicht einigen können“. Mit

dieser Bemerkung traf er ei-

nen Nerv.

Ähnliche Erfahrungen wie

Gutschelhofer hat auch die

ehemalige Landtagsabgeord-

nete Ingrid Gady gemacht, die

ihren kürzlich verstorbenen

Gatten „liebevoll, würdevoll

und wertschätzend“ betreut

hat und einen Verein lei-

tet, der ehrenamtliche Hilfe

besser zugänglich machen

will. Sie habe sich „oft sehr

alleingelassen gefühlt“, sagte

sie und sprach sich für eine

„Wertediskussion“ aus.

Dass es grundlegende Feh-

ler gibt, bestätigte auch der

Geschäftsführer des Sozial-

hilfeverbandes Liezen und

Obmann des Dachverbandes

der öffentlichen Pf legeein-

richtungen, Jakob Kabas: „Es

gibt ausreichend kreative

hauptamtliche und ehren-

amtliche Menschen in diesem

Bereich, aber auch Fixie-

rungen finanzieller, struk-

tureller, rechtlicher ideolo-

gischer, menschlicher Art“,

sodass er sich frage, „ob das

System insgesamt nicht gegen

das Heimaufenthaltsgesetz

verstößt“.

Der WK-Obmann der Ge-

sundheitsbetriebe und Arzt

Martin Hoff übte Kritik an

den geografischen Versor-

gungslücken, die oft zu einer

Entwurzelung alter Menschen

führe: „Das ist das Schlimms­

te, das man einem alten Men-

schen antun kann.“

Prim. Peter Mrak, ärztlicher

Direktor des LKH Voitsberg

und Geriatrie-Experte, plä-

dierte für die Stärkung ei-

ner auf die Menschen aus-

gerichteten geriatrischen

Versorgung und sprach

von einer „wahnsinnige(n)

Diagnosesehnsucht, aber

unterbelichtete(n) Refunk-

tionalisierungssehnsucht“.

Der Patient, zitierte Mrak

den deutschen Psychologen

Volker Pudel, wolle immer

unbeschadet aus der Situa-

tion herauskommen, „aber

wir schaffen das nicht“. Mrak

wies auch auf die zu we-

nig beachteten Potentiale der

Akutgeriatrie hin, die es laut

internationaler Forschung in

beeindruckender Dimensi-

on schaffe, Menschen nach

einem Schicksalsschlag wie-

der zu befähigen, weitgehend

selbstständig zu bleiben. Und

„Es ist ein Thema, das in

der Gesellschaft schon

lange brennt.“

Alfred Gutschelhofer

„Es gibt zu wenig

Anreize für ärztliche

Hausbesuche.“

Jörg Garzarolli

„Es gibt Fixierungen

rechtlicher (…) und

menschlicher Art.“

Jakob Kabas

„Oft habe ich mich habe

sehr alleingelassen

gefühlt.“

Ingrid Gady