Background Image
Previous Page  10 / 76 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 76 Next Page
Page Background

10

ÆRZTE

Steiermark

 || 10|2015

COVER

men gemeint. Ersteres und

Zweites wird ganz unter-

schiedlich bewertet. Ein 30-

bis 50-Jähriger ohne gröbere

Gesundheitsprobleme glaubt,

die ganze Bedeutung der Me-

dizin liegt in der Behandlung

von selbstlimitierenden In-

fektionskrankheiten und Be-

wegungsapparat-Problemen.

Er kann die Bedeutung von

Beziehungsmedizin erst ver-

stehen, wenn er sich stolz auf

ein „Burnout“ hingearbeitet

hat. Zweiteres wird relevant,

wenn Probleme auftreten, für

die es mehrere Lösungsmög-

lichkeiten gibt.“

Was Primärversorgung

können muss

Schneider zu den Standards:

„Exempla r ische Leist un-

gen – inklusive ‚einfacher‘

Beschwerden wie Bauchweh,

Kopfweh etc. – müssen min-

destens Montag bis Freitag

von 7 bis 19 Uhr versorgt

werden.“ Dafür müssten der

Hausarzt und sein Team ei-

nen klaren Leistungsauftrag

und die Finanzierung haben.

Und es müsse klar kommu-

niziert werden, dass er im

genannten Zeitraum für die

Patientinnen und Patienten

da sei.

Etwas allgemeiner formu-

liert Pichlbauer die Anfor-

derungen: „Wenn die Zahl

der versorgungswirksamen

Hausärzte gleich groß ist wie

die aller Fachärzte (also auch

die in den Spitälern), wenn

das Angebot der Primärver-

sorgung von der Prävention

über Pflege, Reha und Palli-

ation reicht, wenn alle Ange-

bote der Primärversorgung

kostenlos, wohnortnah und

niedrigschwellig als Sach-

leistung angeboten werden,

wenn jeder Österreicher ‚sei-

nen‘ Hausarzt hat und ihn

auch wirklich primär auf-

sucht – und sich nicht mehr

selbst zu allen möglichen

Angeboten der Sekundärver-

sorgung zuweist –, das Ein-

kommen der Hausärzte gleich

hoch ist wie das der Fachärzte

und die Zahl der Spitalsauf-

nahmen sich im Vergleich zu

heute halbiert hat.“

Korsatko nennt zuerst Schlag-

worte: Zufriedenheit, breites

Leistungsspektrum, Qualität

in Versorgung und Präven-

tion, Transparenz, Evaluie-

rung und Weiterentwicklung

– und führt aus: „Eine ge-

lungene Primärversorgung

besteht dann, wenn die Ge-

sundheitsdienstleister und

die Patienten damit zufrieden

sind, ein breites Leistungs-

spektrum angeboten werden

kann und gleichzeitig ein den

wissenschaftlichen Standards

entsprechendes Qualitätsni-

veau der Versorgung und

Prävention – bei hoher Trans-

parenz und kontinuierlicher

Evaluierung und Weiterent-

wicklung – besteht bzw. ange-

strebt wird.“ Was ihm wich-

tig ist: „Zu allererst müssen

die Gesundheitsdienstleister

mit den Arbeitsbedingungen

zufrieden sein, dann sind

sie auch motiviert, wichtige

Punkte umzusetzen".

Konkret nennt er fünf Säulen

der Zufriedenheit:

y

das Einkommen

y

das Gefühl, etwas Sinn-

volles zu leisten (also z. B.

adäquate Behandlungszei­

ten und Leistungsprofile,

die Möglichkeit, Behand-

lungserfolge zu verfolgen)

y

die Möglichkeit, sich im

Team auszutauschen und

auf eine breite Palette von

Partnern zugreifen zu kön-

nen (auch gute Vernetzung

in die Sekundärversor-

gungsebene)

y

geringer wirtschaftlicher

Druck (z. B. durch Vertre­

tungsmöglichkeiten, An-

stel lungsmög l ichkeiten,

Basiseinkommen (Grund-

pauschalen)

y

Gesta lt ungsmög l ichkeit

(d.h. Anpassung der Dienst-

leistungen an die regionalen

Erfordernisse, Verhandlung

von speziellen Verträgen,

Bundled Payments, Triple

Aim, Pay 4 performance, …)

„Gute Ergebnisse und zu-

friedene PatientInnen, Ärz-

tInnen, Krankenpflegeperso-

nal, SozialarbeiterInnen“ sind

für Gaugg die Kriterien guter

Primärversorgung.

Glehr kritisiert in diesem

Zusammenhang das PHC-

Vorhaben: „Die Aufwertung

der Hausarztmedizin steht

im Regierungsprogramm, von

dieser ist im PHC-Konzept

wenig die Rede“. Für die verän-

derten Erwartungen der jun-

gen Ärztinnen und Ärzte hin-

sichtlich unternehmerischer

Verantwortung, Arbeitszeit

und Lebensqualität seien neue

Organisations-Modelle zu er-

möglichen, ohne aber die be-

währten abzuschaffen bzw. zu

diskriminieren: „Die Vielfalt

ist die Lösung!“

Nicht unähnlich die Einschät-

zung durch Harald Gaugg:

„Es braucht eine strukturelle

Unterstützung der Hausärzte

sowie neue Formen der Zu-

sammenarbeit von Primär-

versorgungszentren und

Netzwerken, wie beispielswei-

se ein erweitertes Styriamed.

net.“

Ambulanzentlastung

Kann ein besseres Primär-

versorgungs-Modell tatsäch-

lich zu einer Entlastung der

Spitalsambulanzen beitragen?

Hier gibt es Zustimmung,

Zweifel – und klare Ableh-

nung. „Diese Effekte stellen

sich ein und lassen sich auch

deutlich messen, wenn man

ernsthafte Leistungsverlage-

rung in den niedergelassenen

Bereich betreibt, und sie sind

im Interesse der Dienstlei-

ster und Patienten. Primary

Health Care wird hier einen

großen Beitrag leisten“, meint

Korsatko. Schneider ist ähn-

licher Meinung: „Na klar,

weil dadurch die ‚Macht‘ ent-

stehen kann, dass der Patient

nicht völlig unkanalisiert zu

sprichwörtlich 50 verschie-

denen Stellen rennen kann

und soll. Da braucht es noch

zusätzliche Qualitätsstruk-

turen im System – vor allem

die rechtlichen Vorausset-

zungen für ein ‚gate-keeping‘

in allen Sektoren.“

Pichlbauer ist „in Österreich

sehr skeptisch“: „Die Frag-

mentierung der Kompetenz

behindert die Zusammenar-

beit zugunsten von ‚Eigenin-

teressen‘ und ist kaum geeig-

net, die Entwicklung eines

rationellen, aufeinander ab-

gestimmten und reibungslos

Foto: Fotolia

„Mehr Sachlichkeit und

Patientenorientierung, statt

Machtpolitik und Ressentiments.“

Ernest Pichlbauer

„Es geht nicht um Be- oder Entlastung eines Bereiches, sondern

um bessere Versorgung der PatientInnen bei gleichzeitig besseren

Bedingungen für die Leistungserbringer.“

Harald Gaugg