AERZTE Steiermark 10 | 2014 - page 12

12
Ærzte
Steiermark
 || 10|2014
med&care kongress
Wenig Transparenz mit
absolutistischen Zügen
Transparenz ist schick. Kritik
am Transparenz-Diktat gibt
es zwar, aber sie ist so verhal-
ten, dass sie im Chorgesang
der Transparenz-Forderer
kaum zu hören ist. Ärztinnen
und Ärzte, aber genauso ande-
re Gesundheitsberufe, erleben
den Transparenz-Druck täg-
lich: Sie sollen dokumentieren,
damit ihre Entscheidungen
und Handlungen nachvoll-
ziehbar sind und bleiben –
zehn Jahre, 30 Jahre. Evidenz-
basierte Medizin ist jedenfalls
transparent. Checklisten und
vorgegebene Behandlungs-
pfade erzwingen normge-
rechtes Handeln, Intuition
und Spontaneität haben kaum
mehr Raum. Aber nicht nur
die Prozesse, sondern auch die
Ergebnisse sollen transparent
sein. Dafür gibt es Listen und
Rankings – die natürlich nur
dann die Transparenz fördern,
wenn sie öffentlich zugäng-
lich sind. Dass die Kriterien,
nach denen diese öffentlichen
Listen erstellt werden, oft zu
einfach sind, um tatsächlich
eindeutige Aussagen zu erlau-
ben, wird leicht missachtet.
Vergleicht man ähnlich gela-
gerte, aber eben nicht gleiche
Fälle und bewertet Kranken-
häuser etwa nach den auf-
getretenen Komplikationen,
gewinnt in der Regel das
Krankenhaus, das die weni-
ger schweren Fälle aufnimmt.
Zum Beispiel das periphere
Spital gegen ein Universi-
tätsklinikum. Wer riskiert,
und auch nur schlecht doku-
mentierbar. Die Medien, die
diese Aufgabe wahrnehmen
könnten, befassen sich nur
punktuell, und der eigenen
Logik folgend, vereinfachend
mit den großen Themen. Und
sie sind auf Informationen
der entscheidenden Organi-
sationseinheiten angewiesen,
die diese ihnen nur bruch-
stückhaft, oft gar nicht, und
fast immer mit dem Ziel ge-
ben, die eigenen Interessen
zu stützen und besser noch
durchzusetzen.
Wobei die Entscheider nicht
nur Täter sind. Oft genug ken-
nen sie die Ziele nur sehr vage,
nicht selten stehen auch ihnen
die Grundlagen nicht zur Ver-
fügung. In vielen Fällen ist
rationales Entscheiden und
Handeln kaum möglich, weil
kollektiven Entscheidungen
entweder das Aushandeln von
verliert in den meisten Fällen.
Aber was ist, wenn man nicht
die Transparenz der Gesund-
heitsversorgung diskutiert,
sondern die Transparenz
der Transparenz fordernden
Gesundheitspolitik? Beim
Med&Care-Kongress in Graz
hat Eiko Meister genau das
versucht und ist zu ernüch-
ternden Ergebnissen gekom-
men: Die Politik versagt, ge-
messen an den eigenen Trans-
parenzansprüchen kläglich.
Mehr noch: Sie muss versagen.
Komplex
Das erste Problem ist das Ge-
sundheitssystem selbst. Auch
wenn man es vereinfacht dar-
stellt, bleibt es hochkomplex.
Entscheidungsprozesse sind
daher kaum durchschaubar.
Wer auf sie Einfluss nimmt,
wann, mit welcher Intensität
und mit welchen Argumenten,
ist nur schlecht dokumentiert
Kompromissen oder die Aus­
übung von Macht erfordern.
Ob „gewaltfrei“ oder unter
Einsatz von Gewalt, am Ende
wird da kaum eine rein sach-
lich begründete Entscheidung
stehen.
Menschlich
Entscheider wollen ihre Ent-
scheidungen auch überleben.
Daher scheuen sie verständli-
cherweise Risiken. Im Zweifel
verlassen sie die bekannten
Ufer nicht, sie wählen unter
den möglichen Alternativen
jene, die ihnen vertrauter sind.
Die Verhaltensforschung und
die experimentelle Wirt-
schaftswissenschaft zeigen
in mehreren Versuchsanord-
nungen die Grenzen auf, die
das menschliche Verhalten
setzt.
Irrationalität und Subjekti-
vität ist jedoch keine Privi-
legien der Politik. Meister
zitierte eine Umfrage unter
US-Managern aus dem Jahr
2004: Demnach beklagen
fast 80 Prozent der Befragten
falschen Entscheidungen auf
Grund fehlerhafter oder un-
vollständiger Informationen
sowie unsystematischer Vor-
gehensweisen im Entschei-
dungsprozess.
Der Fall ELGA
Ein schönes Beispiel ist der
Entstehungsprozess der Elek-
tronischen Gesundheitsakte
ELGA. Anhand dieses Pro-
zesses beleuchtete Meister die
Die Gesundheitspolitik fordert
(mehr) Trans-
parenz im Gesundheitssystem. Aber wie trans-
parent ist die Gesundheitspolitik? Eiko Meister,
Arzt, Qualitätsreferent im Präsidium der Ärzte-
kammer Steiermark und Gesundheitssprecher
des Think Tank Weis[s]e Wirtschaft, ging dieser
Frage beim Med&Care-Kongress in Graz nach.
Foto: Fotolia, Lunghammer/Med&Care
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...56
Powered by FlippingBook