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Frei wie ein Vogel
Seit über 30 Jahren
erkundet der Mediziner
Ralf Müller die schönsten Plätze der Erde mit
dem Flugdrachen aus der Vogelperspektive. Der
Anästhesist über seine schönsten Flüge und die
Zukunft seines Sports.
Robert Ernst-Kaiser
Ralf Müller arbeitet an der
Privatklinik Graz Ragnitz als
Anästhesist und Intensivme-
diziner, bringt preisgekrönte
Smartphone-Apps auf den
Markt (AGN-Notfallfibel)
und kreist in seiner Freizeit
mit dem Flugdrachen (Hän-
gegleiter) durch die Lüfte. Be-
reits 1982 hat Müller seine
Leidenschaft zum Drachen-
fliegen entdeckt, in der er
„wie ein Vogel fliegt“. „Damals
musste ich als Bergrettungs-
sanitäter einen verunglückten
Flieger von einer 20 Meter
hohen Fichte bergen. Der Un-
glücksrabe zahlte darauf hin
sechs Flaschen Wein und
ich den Mitgliedsbeitrag für
den Fliegerclub. Seit damals
hat mich diese Flugsucht ge-
packt“, erinnert sich Müller
an den Anfang. Seit damals
hat der gebürtige Köflacher
Europa, Australien, Mexiko
oder auch Lanzarote aus der
Vogelperspektive unter die
Lupe genommen.
Die ersten Flüge führten Mül-
ler vom „Alten Almhaus“,
einem Schigebiet in der West-
steiermark nach Maria Lan-
kowitz. „Wir waren damals
noch ein Entwicklungsland in
Sachen Drachenfliegen. Heute
zählen Weltmeister (Robert
Reisinger) und Europameister
(Michael Friesenbichler) zu
den Mitgliedern des HGC –
Hängegleiterclub Steiermark.
Es ist mir eine große Ehre,
dass ich von diesen Spitzen-
sportlern zum Obmann ge-
wählt worden bin“, freut sich
Müller über die Entwicklung
seines Sports. Auch er selbst
unternimmt mittlerweile Flü-
ge, die weit über die Anfangs
absolvierten Distanzen hi-
nausgehen. Sein bisher läng-
ster Flug endete nach acht
Stunden am Playa de Famara
in Lanzarote. Die Insel gilt als
Paradies der Drachenflieger,
nicht umsonst steuert Müller
diese Destination regelmäßig
an: „Ich bin damals acht Stun-
den über dem Atlantik geflo-
gen und spät am Abend im
Dunklen wieder am Strand
gelandet. Das war aber nicht
der einzige Flug, der mit dau-
erhaft in Erinnerung bleiben
wird.“ In Greifenburg bei Li-
enz, das als „Hawaii der Dra-
chenflieger“ bezeichnet wird,
startete Müller einen Flug, der
ihn über 30 Berggipfel führte
und bis auf eine Höhe von
4.000 Meter ging. „Dieser Flug
war so schön, dass ich bei der
Rückkehr spontan das Lied
͵Feelingsʹ singen musste“, lacht
Müller. Erlebnisse wie dieses
sind es, die Müller so sehr
begeistern: „Die Urlaube wer-
den mit dem Drachenfliegen
verbunden. So kommen wir
automatisch an die schönsten
Berge und Küsten der Erde,
wie zum Beispiel den über
4.700 Meter hohen Nevado de
Toluca, einem Vulkan in Me-
xiko oder an die Great Ocean
Road in Australien.“
Lautlos unterwegs
Nicht nur die Schönheit der
Natur, auch das Spiel mit der
Natur, steht beim Drachen-
fliegen im Vordergrund. „Es
geht darum, mit der vorherr-
schenden Thermik Höhe zu
machen und sich so in die
Luft zu drehen. Der Auf-
stieg endet an der Wolken-
basis und wir ziehen danach
im Geradeausflug in die ge-
wünschte Richtung.“ Dra-
chenflieger wie Müller sind
lautlos unterwegs und lassen
sich von ihrem Geschick und
den Winden leiten. Etwa 50
bis 80 Flugstunden absolviert
Müller jährlich, Top-Flieger
sind rund 250 Stunden im
Jahr in der Luft. Dabei reicht
es nicht, sich einfach in den
Flieger zu hängen und seine
Runden zu drehen. „Dra-
chenflieger müssen topfit sein.
Ich vergleiche das Fliegen in
turbulenter Luft gerne mit
Wildwasserpaddeln in einem
Wasserfall. Mit Laufen und
Radfahren hole ich mir die
nötige Kraft und Ausdauer
für diesen Sport.“
Und die Gefahren? Müller
klopft bei der Frage drei Mal
auf den Tisch und berichtet
lediglich von einer kleinen
Knieverletzung in seiner über
30-jährigen Drachenf lieger-
zeit. Die „Drachen“ müssen
regelmäßig wie ein Auto ein
„Pickerl“ machen und auch
ein Rettungsfallschirm ist
Vorschrift.
Als Obmann des Hänge-
gleitclub Steiermark ist es
Müller ein großes Anliegen,
für Nachwuchs im Drachen-
fliegersport zu sorgen. „Das
Leuchten in den Augen der
Kinder am Schöckl ist einma-
lig. Wenn sie uns dort sehen,
kommen sie angelaufen und
Fragen uns Löcher in den
Bauch. Dieses Leuchten wol-
len wir bei möglichst vielen
Jugendlichen entzünden“, so
Müller, der gemeinsam mit
seinem Klub große Projekte
im Kopf hat.
So soll im kommenden Jahr
eine große Veranstaltung am
Schöckl über die Bühne ge-
hen. Unter dem Motto „Wer
weiter fliegt, gewinnt“ (Welt-
rekord: 764km Luftlinie) will
der Klub die Drachenflieger-
Elite auf den Grazer Haus-
berg locken und so diesen
Sport fördern. Am Schöckl
soll dann über Live-Kameras
der Drachenflieger und GPS-
Tracking das Geschehen für
Beobachter sichtbar gemacht
werden.
Wie in seiner Tätigkeit als
Mediziner brachte Müller
auch das Thema Drachenflie-
gen in Buchform in seinem
eigenen Verlag auf den Markt.
Unter dem Titel „Mit dem
Wind II“ hat er gemeinsam
mit Larry Flemming ein Buch
geschrieben, das Flugerleb-
nisse verschiedenster Piloten
und deren Charaktere, von
der riskanten Pionierzeit bis
heute, zeigt.
Weitere Informationen zum
Drachenfliegen und zum Buch:
14
Ærzte
Steiermark
|| 02|2014
serie
Arzt im besonderen Dienst
Ralf Müller