AERZTE Steiermark | Juni 2022

Ærzte Steiermark || 06|2022 11 cover ist in vielen Bereichen im Österreichvergleich weit hinten – oder überhaupt absolutes Schlusslicht. Wahlärztinnen und Wahlärzte wichtig Eine wichtige Ergänzung der Kassenvertragsärztinnen und -ärzte sind die Wahlärztinnen und Wahlärzte jedenfalls. Aktuell gibt es in der Steiermark 785 hauptberufliche Wahlärztinnen und Wahlärzte (zusätzlich zu 937 Ärztinnen und Ärzten mit ÖGK-Vertrag), die natürl ich versorgungsrelevant sind. Sein müssen, allein schon, um hauptberuflich tätig sein zu dürfen. Übrigens: An den VisitenBereitschaftsdiensten unter der Woche beteiligen sich laut den Zahlen aus dem Jahr 2021 Wahlärztinnen und Wahlärzte stärker als Kassenvertragsärztinnen und -ärzte. Wahlärztinnen und Wahlärzte sowie (begrenzte) Rückersätze für die Patientinnen und Patienten, die sie gerne aufsuchen, gibt es in Österreich auch deshalb, weil es hierzulande – anders als in Deutschland – große Pf lichtkrankenkassen, allen voran die ÖGK, gibt. Die Patientinnen und Patienten sollen nämlich trotzdem so etwas wie eine freie Arztwahl haben. Und die haben sie, weil es Wahlärztinnen und Wahlärzte gibt. Deren Abschaffung, wie sie manche Kassenvertreter*innen (und auch Politiker*innen) ins Spiel gebracht haben, wäre also mögl ich, wenn eine rechtliche Voraussetzung realisiert würde: eine Versicherungspflicht nach deutschem Vorbild anstelle des Systems der Pf lichtversicherungen. Aber das dürften jene, die Patientinnen und Patienten die im ASVG festgelegten Wahlarztrückersätze künftig verweigern wollen (die Rückersätze bekommen ja die Patientinnen und Patienten), nicht bedacht und ganz sicher nicht gemeint haben. Fazit: Eine fundierte Debatte darf jedenfalls nicht an der Oberfläche bleiben, sondern muss alle Faktoren miteinbeziehen. Ehrliche Digitalisierung Ein ehemaliges „OrchideenThema“, das zuletzt viel Dynamik bekommen hat, ist die Digitalisierung in der Medizin. Nicht zu Unrecht: Denn natürlich ist digital manches möglich, was ohne digitale Hilfsmittel nur unter großem Aufwand oder gar nicht funktionieren kann. Man denke nur an die kontinuierliche Kontrolle von Parametern, die Patientinnen und Patienten zwar messen können, aber zur richtigen Interpretation unbedingt Ärztin oder Arzt brauchen. Aber digital ist nicht alles möglich. Und vor allem: Auch eine digitale Leistung, die eine Ärztin oder ein Arzt erbringt, erfordert Fachwissen und zeitlichen Aufwand. Dass digital alles gratis und sofort geht, ist ein Mythos fern jeder Faktizität. Damit „digital“ funktionieren kann, braucht es eine neue Leis- tungskultur, die ärztliches Wissen und Können auch dann respektiert, wenn es nicht face-to-face zur Anwendung kommt. Es braucht auch Orientierungshilfen. Die Ärztekammer – und nicht nur sie – macht sich deshalb für eine Zertifizierung digitaler Anwendungen (vor allem auch Apps) stark, die Patientinnen und Patienten die Gewissheit gesicherter Qualität geben. Manche Entwickler und Hersteller – vor allem ärztliche – bemühen sich darum. Andere – vor allem nichtärztliche – begnügen sich mit unrealistischen Werbeversprechen ohne medizinischen Wert. Noch zwei Punkte sind wichtig: Nicht alles in der Medizin ist digital möglich. Auch darauf darf im digitalen Überschwang nicht vergessen werden. Und vieles, das unter Laborbedingungen digital funktioniert, wackelt im realen Einsatz ganz beträchtlich, weil die erforderlichen Bandbreiten fehlen, weil Sicherheitsstandards nicht berücksichtigt werden, oder weil einfach die Hard- und Software nicht die nötige standardisierte Qualität aufweist. Auch die Nutzerinnen und Nutzer, sprich: die Menschen, tun sich bisweilen schwer. Die telefoni sche Krankschreibung abzuschaffen und nur mehr eine Video-Krankschreibung zuzulassen, wie sie manche wünschen, ignoriert genau diese Einschränkungen – der Technik und der Menschen. Mehr Realitätssinn und weniger Überschwang tun der Medizin gut. Noch wichtiger sind sie aber für die Gesundheitspolitik und die Verwaltung. Partnerschaftliches Denken Dies erfolgreich zu deponieren und die sogenannten „Systempartner“ von der Notwendigkeit partnerschaftlichen Denkens und Handelns, von Langfristigkeit und ehrlichem Ideen- und Erfahrungsaustausch zu überzeugen, ist wahrscheinlich die größte Aufgabe, die es zu lösen gilt. Im Mai hat sich das steirische Ärzteparlament im neugestalteten Minoritensaal frisch konstituiert. Mächtige Aufgaben kommen auf die Ärzteschaft zu. Um sie zu lösen, braucht es Geduld und langen Atem. Die Grundvoraussetzung ist jedenfalls vorhanden: die Bereitschaft zum offenen und konstruktiven Dialog. Viele der offenen Themen haben direkt oder indirekt mit dem Ärzt*innenmangel zu tun.

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=