AERZTE Steiermark | Oktober 2022

Ærzte Steiermark || 10|2022 35 wirtschaft&Erfolg auseinander. Was die einen als bewussten inneren Abschied vom liberalen Arbeitsethos (selbstverständl iche Überstunden, mehr Lohn, zusätzliches Engagement wird implizit erwartet, auch Aufgaben, die nicht in der Stellenbeschreibung vorkommen, sind zu erledigen) zelebrieren, verurteilen die andern als systematische Faulheit (pünktlich Feierabend, bewusste Lohneinbußen, keine Abrufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit, keine Gefälligkeiten für den Chef). Wer Dienst nach Vorschrift durchziehen will, muss das Urteil der Kollegenschaft als Nebensache betrachten. Manche Autoren sehen WLB auch als großes, langfristiges Thema, wovon Quiet Quitting nur einen temporären (Sub-) Trend darstellt. Gesundheit als wiederentdecktes Gut Die Corona-Pandemie hat einen Wert hervorgestrichen, der unter dem Leistungsdenken der Industriegesellschaft fast aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden war: die Gesundheit. Und vor allem jenen Teil, der nicht durch biologische Ursachen entsteht, sondern dem Lebens- bzw. Arbeitsstil, Stichwort: Burnout, geschuldet ist. Kristen Casey, eine klinische Psychologin aus den USA, diagnostiziert das Dilemma auf www.shape.com/lifestyle/mind-andbody/mental -heal th/qui e tquitting-tiktok-trend-mentalhealth: „Menschen, die sich bei der Arbeit überfordert fühlen, haben möglicherweise nicht die mentale Energie, um sich nach der Arbeit mit erfüllenden Aktivitäten zu beschäftigen.“ Gestresste bringen oft nicht mehr die Energie auf, in der Freizeit mit ihren Kindern zu spielen, oder mit ihren Freunden Ausflüge zu unternehmen. Ein Schritt zurück in Arbeit ist ein Schritt vor zum Abschalten in der Freizeit. Dieser Trend hat sogar China erfasst. Dort rebelliert die sogenannte „Lie-Flat“-Bewegung gegen die 9-9-6-Arbeitskultur, also wöchentlich sechs Tage von 9 bis 21 Uhr zu arbeiten. Grenzen bei der Anwendung Zwei Dinge engen den Spielraum für „Dienst nach Vorschrift“ ein: Man muss von seiner Arbeit leben können, mit einer reduzierten A r b e i t s z e i t , z. B. einer 2 0 - S t u n - d e n -Wo - che, und e n t s p r e - chend ger i nge r em Lohn gelingt das nur sehr Wenigen. Oft geht es sich aber mit einer Gehaltsk ü r z u n g v o n 20 % aus. Dafür wird auch auf luxuriöse Freizeitaktivitäten Anschaffungen verzichtet – statt teurer Konzerte nur mehr kostenlose Musikfestivals, Second-Hand-Kleidung –, was auch den CO2-Fußabdruck verringert. Und: Nur das Nötigste leisten, dieses Privileg kommt in der Regel nur Personen zu, die in Unternehmensstellen arbeiten. Doch Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen würden vor ihren Patient*innen mit dieser Einstellung ein eher zweifelhaftes Bild abgeben. Wer hätte schon ein Verständnis dafür, wenn er hören müsste: „Der Verband ist zwar wichtig, aber ich kann ihn erst morgen machen, jetzt ist Dienstschluss.“ In dem Fall empfiehlt sich, die Arbeitszeit von vorneherein zu reduzieren bzw. als Arzt/Ärztin tageweise eine Vertretung zu engagieren. Auch von Lehrer*innen, die Jahr für Jahr dieselben Aufgabenblätter durchmachen, würden Eltern sicher gerne zu einem engagierten, gut und topaktuell vorbereiteten Pädagogen wechseln. Quiet Quitting als Kündigungsgrund? Auf der anderen Seite der Medai l le stehen niederg e l a s s e n e Ärzt*innen, wenn sie als Arbeitgeber*innen Arbeitskräf te beschäf tigen wie Ordinat ionsassistenz, Raumpf leger*innen, Therapeut*innen. Diese schulden dem/r Arbeitgeber*in nur eine im Arbeitsvertrag festgelegte Leistung in mittlerer Qualität, keine Höchstleistung. Mittlere Leistung erbringen Arbeitskräfte im Dienst nach Vorschrift wohl, auch Unterlassungen oder Pflichtverletzungen sind selten. Unterdurchschnittliche Minderleistung aber ist doch meist nachweisbar und für eine Kündigung relevant. Quiet Quitting ist zwar darüber angelegt, trotzdem sehen es Arbeitgeber*innen lieber nicht im eigenen Betrieb. Dann kann es sein, dass sie einen Weg finden, wenig Engagierte trotz Kündigungsschutz dennoch zu kündigen. Die Betroffenen akzeptieren diese Entscheidung meist und können damit Druck am Arbeitsplatz vermeiden. Diesbezüglich halten Casey und andere Expert*innen fest, dass leises Aufhören vor allem eine Option für Menschen ist, die vorhaben, ihren Job ohnehin zu kündigen. Oder sie testen Quiet Quitting als vorübergehende Strategie, bis ihnen klar wird, welche Work-Life-Grenzen sie setzen müssen und wie diese WorkLife-Balance für sie dann konkret aussieht. Dienst nach Vorschrift funktioniert laut Casey nicht als dauerhaf te Lösung für jemand, der wirklich unglücklich bei seiner Arbeitsstelle ist. ne Extra-Meile mehr Illus: Adobe Stock

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