AERZTE Steiermark | Februar 2022
Ærzte Steiermark || 02|2022 15 Tabelle: Posch Arzt im besonderen dienst Patienten mehr oder weniger zielführend sein kann. Für Posch eine geradezu ma- gische Zahl ist die Number needed to treat (NNT). „Mit wenigen Limitationen ermög- licht die NNT eine einfache Abschätzung des erwartbaren absoluten Benefits einer Inter- vention für den anvertrauten Patienten.“ Sie bezeichnet die Anzahl jener Patient*innen, die mit einer Intervention be- handelt werden müssen, um bei einem davon ein uner- wünschtes Ereignis zu verhin- dern oder einen Therapieer- folg zu erreichen. Als Beispiel nennt er die PCSK9-Inhibi- toren zur Lipidsenkung bei erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. „Relativ gesehen kön- nen diese neueren Medika- mente im Vergleich mit dem Placebo das Risiko eines Herz- infarkts oder Schlaganfalls um 15 % senken. Das klingt gut. Das absolute Risiko wird allerdings anhand einer zu- lassungsrelevanten Studie nur von 11,3 % auf 9,8 % gesenkt.“ Die NNT ist sodann der Kehr- wert dieser absoluten Risikore- duktion, also 1 dividiert durch 1.5 % (1/0.015). Durch die Brille der NNT gesehen, heißt dies, dass 67 Patient*innen gitalisierungsschritte zu schät- zen: „Wenn ich Nachtdienst in der EBA mache und es um die rasche Versorgung be- wusstseinsgetrübter Personen geht, hilft mir die Einsicht in deren Vorgeschichte und ihre Medikationsliste über ELGA.“ Posch ist sich aber auch des Machtfaktors aus Besitz und Präsentationshoheit von Daten bewusst. Darauf möchte er auch seine Kolleg*innen auf- merksam machen: „Je nach Intention kann man durch die Auswahl der präsentierten Daten ein Studienergebnis so oder so darstellen. Beide Darstellungen basieren auf identen Daten, können aber einen gänzlich anderen Ein- druck erwecken.“ Magische Number needed to treat (NNT) Statistik werde, so Posch, im Studium sehr trocken vermit- telt, was vielen Ärzt*innen die Freude daran verderbe. „99 % entwickeln eine Aversion, ob- wohl die Statistik, richtig an- gewandt, eine bessere Medizin im Alltag ermöglicht.“ Wer Studiendaten kritisch lesen könne, gewinne einen verläss- licheren Eindruck davon, wel- che Behandlung im jeweiligen Setting für den individuellen mit PCSK-9-Senkern behan- delt werden müssen, um einen Herzinfarkt oder einen Schlag- anfall zu vermeiden. „Bei in der Zulassungsstudie ver- gleichbarer Sterblichkeit mit und ohne PCSK9-Behandlung ermöglicht dies, den absolu- ten Nutzen für den einzelnen Patienten besser einzugren- zen.“ Einen richtig guten Wert, schwärmt Posch, erreicht z. B. in der Neurologie die Throm- busaspiration, bei der nach einem ischämischen Schlag- anfall per Mikrokatheter das Blutgerinnsel abgesaugt wird. Hier liegt die NNT bei vier. Nur vier Patient*innen müs- sen so behandelt werden, um eine schwere Folgebehinde- rung zu vermeiden. Sorgfalt zählt Die NNT (siehe Beispiele in der Tabelle) kann sowohl Fachärzt*innen als auch Allgemeinmediziner*innen bei alltäglichen Entscheidungen unterstützen. „Wenn ich dann auch noch die Zahlen zu wich- tigen Nebenwirkungen mit der gleichen Methode abschätze – der Number-Needed-To-Harm (NNH) –, kann ich für meinen Patienten die oft schwierige individuelle Nutzen-Risiko- Abwägung auf eine rationale Basis stellen und dementspre- chend beraten und entschei- den“, betont Posch. „In der internistischen Praxis hilft dies etwa, um bei gebrechlichen geriatrischen Patient*innen mit Vorhofflimmern und Blu- tungsrisiko das Für und Wider einer Antikoagulation abzu- schätzen. Hier erlaubt ein for- maler Vergleich von NNT und NNH oftmals die Erkenntnis, dass Blutungsrisiken die Bene- fits hinsichtlich Schlaganfall- prophylaxe überwiegen.“ Angesprochen auf die The- matik von Über- oder Unter- behandlung, z. B. bei einer ärztlichen Entscheidung ge- gen eine Antikoagulation bei Vorhoff limmern im geriat- rischen Bereich, meint Posch: „Wer ein sorgfältiges Risiko- Assessment durchführt, Be- handlungschancen gegen das Risiko von Nebenwirkungen abwägt, dies seinem Patienten transparent kommuniziert und auch dementsprechend dokumentiert, ist auf der si- cheren Seite und vermeidet sowohl ein Over- als auch ein Undertreatment.“ Auf die Sorgfalt kommt es an. Und dafür ist es essentiell, Statis tiken richtig interpretieren zu können. Number Needed To Treat (NNT) = 1 / Ab- solute Risikoreduktion Beispiel: Ein neues Medikament reduziert das Schlag- anfallrisiko von 10 % auf 8 %. Absolute Risikoreduktion ist 2 % (=0.02). Die Number Needed To Treat ist sodann 1/0.02=50. PatientInnen müssen mit dem Medikament behandelt werden, um einen Schlaganfall zu verhindern. Setting Klinischer Endpunkt Relative Risikoreduktion mit Intervention (RRR)* Absolute Risikoreduktion mit Intervention (ARR) Number Needed to Treat (NNT) PCSK9-Hemmer Evolocumab vs. Plaecbo zur Therapie von erhöhtem LDL-C trotz Statintherapie 1 Verhinderung von Schlaganfall, Herzinfarkt, koronarer Revaskularisation, und kardiovaskulärem Tod binnen 3 Jahren 15 % 2 % 50 Immuntherapie statt Chemotherapie zur Therapie des fortgeschrittenen Nicht-kleinzelligen Bronchialkarzi- noms mit >50 % PD-L1 Expression 2 Verhinderung von Tod binnen 5 Jahren 38 % 16 % 6 Blutdruckeinstellung <=120mmHg vs. <=140mmHg systolisch bei Hy- pertonikerInnen ohne Diabetes 3 Verhinderung von Schlaganfall, Herzin- farkt, akuter Herzinsuffizienz und kardio- vaskulärem Tod binnen ~ 3 Jahren 25 % 1.6 % 61 Thrombektomie für Ischämischen Schlaganfall 4 Verhinderung von schwerer neurolo- gischer Beeinträchtigung nach 90 Tagen 35% 16% 6 Niedermolekulares Heparin vs. Vitamin-K-Antagonist zur Therapie der venösen Thromboembolie bei KrebspatientInnen Verhinderung von Thromboserezidiven binnen 6 Monaten 52% 8% 13 * basierend auf einer „Hazard ratio“. 1 Sabatine MS et al. N Engl J Med. 2017. 2 Reck M et al. J Clin Oncol. 2021. 3 Sprint Research Group. N Engl J Med. 2015. 4 Jovin TG et al. N Engl J Med. 2015. 5 Lee AYY et al. N Engl J Med. 2003.
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