AERZTE Steiermark | Februar 2022

14 Ærzte Steiermark || 02|2022 Foto: Arzt im besonderen dienst ursula scholz Seine ersten Lehrmeisterinnen im Bereich der Medizinsta- tistik waren die Anopheles- Mücken. Als Florian Posch noch während seines Medi- zinstudiums ein Semester als Jungwissenschafter in London verbrachte, wurde er einem an der Malaria forschenden Evolutionsbiologen zugeteilt. Poschs Aufgabe war es, Boxen mit Hunderten Anopheles- Mücken aufzuarbeiten, nach bestimmten Merkmalen zu sortieren und zu klassifizieren. „Nach zwei Monaten Arbeit erklärte mir mein Betreuer, dass ich ein völlig falsches Studiendesign gewählt hätte und meine Daten statistisch unbrauchbar seien“, erzählt Posch. „Das war ein Wake- up-Moment für mich.“ Posch zürnte nicht etwa seinem Praktikumsanleiter, sondern beschloss vielmehr, sein Stu- dium zu unterbrechen, um an der London School of Hygiene & Tropical Medicine einen Master in Medical Statistics zu erwerben. Er wollte nicht nur Zahlen generieren, son- dern auch die Methoden der Zahlensammlung und -aus- wertung systematisch erlernen. Halbe-halbe Wieder an seinen Studienort Wien zurückgekehrt, begann Posch als Predoc-Forscher im Rahmen des Exzel lenzpro- gramms der Med Uni Wien bei den Hämostaseologen Ingrid Pabinger-Fasching und Cihan Ay mitzuarbei- ten. Bei seiner PhD-Arbeit über Krebs-assoziierte venöse Thromboembol ien konnte er gleich sein medizinstatis- tisches Wissen anwenden und seitdem hat ihn die Forschung nicht mehr losgelassen. Mittlerweile hat sich Posch preisgekrönt habilitiert und ist als Assistenzarzt am Grazer Uniklinikum hämato-onko- logisch tätig. „Ich bin halb Statistiker, halb Onkologe“, erklärte er im Interview mit der Zeitschrift krebs:hilfe! vor ein paar Jahren. Er forscht nicht nur selbst, sondern berät auch Kolleg*innen dabei, wie sie ihr Studiendesign gestal- ten können, um bei der Aus- wertung die richtigen Daten zur Verfügung zu haben. Sein „Tagesgeschäft“, wie er selbst es bezeichnet, sind jedoch die klinische Innere Medizin mit Onkologie und Häma- tologie. Das Spannungsfeld zwischen Medizin und Sta- Von der Mücke zur Medizinstatistik Abschätzen diagnostischer Wahrscheinlichkeiten, Erstellen von Differenzialdiagnosen, Umgang mit prognostischen Unschärfen: Eigentlich sind Ärzt*innen meisterhaft in angewandter Statistik. Trotz- dem haben viele von ihnen ein ambivalentes Verhältnis dazu. Der in Graz tätige Medizinstatistiker und Assistenzarzt Florian Posch versucht, die beiden Welten zu verbinden. tistik sieht er ziemlich ent- spannt: „Eigentlich betreibt jeder Arzt in seiner täglichen Arbeit, meist unbewusst, an- gewandte Statistik für die ein- zelnen Patient*innen. Erwägt er eine Behandlung, tut er dies oft mit verfügbaren Stu- dienergebnissen sowie eigenen Erfahrungen im Hinterkopf und schätzt auf deren Basis die Sinnhaftigkeit einer Interven- tion ein.“ Im Bereich der aka- demischen Forschung passiert es trotzdem immer wieder, dass Studiendaten erhoben werden, die letztlich nicht voll- umfänglich verwertbar sind. „Da wird etwa eine Subgruppe durch einen versteckten Bias anders selektiert oder beobach- tet, und die schlussendlichen Ergebnisse sind dann nicht auf die ‚Real world’-Patient*innen generalisierbar.“ „Real-world data“ im Visier Derzeit wagt sich Posch auch an Großes, nämlich die Aus- wertung von „Real-world data“ für ein Projekt in Kooperation mit Balazs Odler von der Ne- phrologie des LKH Univ.-Kli- nikums Graz. Um den Verlauf und die Behandlung seltener autoimmuner Nierenerkran- kungen besser zu verstehen, werden Tausende – teils vor Jahren erhobene – Laborwerte zur Nierenfunktion aus dem Datenfundus der steirischen Landeskrankenhäuser geholt und mit klinischen Daten ver- knüpft. Ebenso unterstützte er die COVID-19-Forschung Ste- fan Hatzls von der Intensivsta- tion des LKHUniv.-Klinikums Graz. Mit „Real-world“-Daten und innovativen biostatischen Methoden konnte so der op- timale Einsatzbereich von Rekonvaleszentenplasma und Pilzprophylaxen für schwer an COVID-19 Erkrankte de- finiert werden. „Über das In- stitut für Medizinische Infor- matik, Statistik und Doku- mentation der MedUni Graz sind nach einem positiven Votum der Ethikkommission steiermarkweite Datenbank- abfragen für die akademische Forschung reibungslos mög- lich, weil zumindest in allen Landeskrankenhäusern das- selbe System verwendet wird“, hebt Posch hervor. Auch die österreichischen Datenschutz- bestimmungen sieht er gut ausbalanciert zwischen dem Recht auf Privatsphäre, dem Zugang für akademisch For- schende und dem Interesse der Allgemeinheit. Als Kliniker weiß er zudem die jüngsten Di- beigestellt „Wer ein sorgfältiges Risiko- Assessment durchführt, Heilungschancen gegen das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen abwägt, ist auf der sicheren Seite und vermeidet sowohl ein Over- als auch ein Undertreatment.“ Florian Posch

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