AERZTE Steiermark | Jänner 2022
system reifer geworden sei, rät Hollenstein dringend ab. „Der empfohlene Impfzeitpunkt ist ja bewusst gewählt. Bei einer späteren Impfung ist oft sogar das Hauptinzidenzalter schon vorbei.“ Vulnerable impfen Chronisch Kranke und Im- munsupprimierte nicht zu impfen, sei keine Lösung, die- se brauchten den Impfschutz umso mehr. In ihrem Umfeld seien auch Umgebungsimp- fungen zu empfehlen. Zu be- achten sei lediglich, dass nach der Rotavirus-Impfung keine immunsupprimierte Person die Windeln wechsle und dass im Falle eines Impfexanthems nach Varizellen-Impfung bis zum Abkrusten kein Kon- takt zu Immunsupprimierten bestehe. Nicht erlaubt ist eine orale Polio-Impfung im Umfeld von Immunsuppri- mierten. Auch in der Schwangerschaft sind sämtliche Totimpfstoffe erlaubt, explizit empfohlen sind Pertussis- und Inf lu- enza-Impfungen. Absolut kontraindiziert sind MMR- und Varizellen-Impfung; die Gelbfieber-Impfung soll nur bei hohem Erkrankungsrisi- ko verabreicht werden. Bei Blutungsneigung und unter Antikoagulation mö- gen dünne Nadeln gewählt werden, nach Injektion zwei Minuten sanft auf die Stich- stelle gedrückt werden – das Ausweichen auf eine subku- tane Impfung wird allerdings nicht empfohlen. Synkopen nach Impfungen kämen vor allem bei Jugend- lichen vor. Deshalb stehen Impfstoffe, die vor allem in diesem Alter verimpft werden wie HPV oder Meningokok- ken-ACWY, unter Verdacht, häufiger zu Synkopen zu füh- ren, obwohl es zu dieser Re- aktion nach allen Impfstoffen kommen kann. Mode der Titerbestimmung Titerbestimmungen, so Hol- lenstein, würden mittlerweile „fast als Hobby betrieben“. Die richtigen Indikationen seien aber gar nicht so zahlreich: Nachweis bestehender Im- munität (nach Impfungen ge- gen MMR, Varizellen, even- tuell auch Hepatitis A und B) oder Klärung einer nicht dokumentierten Impfvorge- schichte (wie bei verlorenem Impfpass). Zur Bestimmung der Schutzdauer zwecks Ver- längerung des vorgesehenen Impfintervalls sei die Titer- bestimmung bei den Hepati- tis-Impfungen eine mögliche Methode. Technisch richtig, aber medizinisch nicht sinn- voll sei die Titerbestimmung bei Diphtherie und Tetanus, „da hier immer zusammen mit Polio und Pertussis geimpft wird und ohnehin keine Ein- zelimpfungen zur Verfügung stehen“. Der Abbruch einer Grundimmunisierung bei ho- hem Titer sei „grober Unfug“. Univ.-Doz. Dr. Ursula Hollen- stein ist Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzfach Tro- penmedizin und Infektiologie sowie Vorstandsmitglied der OEGIT, der österreichischen Gesellschaf t für Infektions- krankheiten und Tropenme- dizin, die den E-Impfkongress veranstaltet. Hollenstein ge- hört auch zum Team der Sci- ence Busters. Fortbildung Ærzte Steiermark || 01|2022 21 Erlaubt, verboten, geboten Die rechtlichen Grundlagen des „zulassungs- überschreitenden Einsatzes“ eines Arzneimittels, wie der Off-Label-Use im Gesetzesjargon heißt, beleuchtete Barbara Tucek von der AGES auf dem ersten E-Impfkongress. Off-Label-Use sei ja nicht erst seit der COVID-Impfung gang und gäbe, sondern vor allem in den Bereichen der Onkologie, Pädiatrie, Neurologie und bei Seltenen Krankheiten üblich. Vo- raussetzungen für einen Off-Label-Einsatz sind sinnvollerweise der dringende Bedarf und dass keine zugelassene Alternative zur Verfügung steht. Die Anwendung abseits der Zulassung kann sich sowohl auf die Indikation, die Patientengruppe, die Verabreichungsart als auch auf das Dosierungsschema beziehen. Beim Impfen kommt es aus verschiedensten Gründen zu Off- Label-Anwendungen: So hat beispielsweise das NIG die Off- Label-COVID-Impfung für Schwangere empfohlen, oft werden individuelle Patienten- oder Elternwünsche berücksichtigt, Imp- fungen trotz Co-Morbiditäten oder bei Co-Medikation vorge- nommen oder bei Engpässen in punkto Impfstoff-Verfügbarkeit eine Off-Label-Alternative gewählt. Keine explizite gesetzliche Regelung Tucek warb auf dem E-Impfkongress um Verständnis dafür, dass die Behörde keine Zulassung erteilen darf, die über das bei der Antragstellung vom Hersteller vorgelegte Dossier hinaus- geht. Beantragt der Hersteller also nur die Zulassung für eine bestimmte Altersgruppe, kann nicht die Behörde von sich aus diese Gruppe erweitern. Da es in Österreich keine explizite gesetzliche Regelung zum Off-Label-Use gibt, hat Tucek sämtliche den Bereich tangie- renden Bestimmungen aus dem Arzneimittelgesetz, Ärztegesetz, Impfschadengesetz, ABGB und Produkthaftungsgesetz zusam- mengetragen. Ihr Succus daraus: Off-Label-Use ist dann zulässig, wenn er gemäß dem Stand der Wissenschaft erfolgt, medizinisch indiziert und therapeutisch notwendig ist. In jedem Fall muss ein Off-Label-Use allerdings mit besonders intensiver ärztlicher Aufklärung und Dokumentation einhergehen. Ein Verstoß ge- gen die ärztliche Sorgfaltspflicht könne sowohl bei Vornahme als auch bei Unterlassung einer Off-Label-Impfung vorliegen. Der Arzt, die Ärztin kann also auch im Falle übertriebener Darstel- lung von Impfrisiken zur Verantwortung gezogen werden, oder wenn er oder sie von einer gebotenen Impfung abrät. Dr. Barbara Tucek ist Ärztin arbeitet in der AGES-Medizinmarkt- aufsicht im Bereich Pharmakovigilanz. Zudem gehört sie dem Nationalen Impfgremium an. https://infektiologie.co.at/e-learning Der zweite E-Impfkongress der ÖGIT ist für den 3. Dezember 2022 geplant.
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