AERZTE Steiermark | April 2021
Bereich Ærzte Steiermark || 04|2021 7 Der Föderalismus ist schlecht. So hören und lesen wir immer wieder. Der Zentralismus ist auch schlecht. Das hören und lesen wir in der „Coronakrise“ auch. Aber was ist dann gut? Das hören und lesen wir selten. Eine deutsche Nielsen-Studie sagt klar: 87 Prozent der Deutschen wollen sich bei ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt impfen lassen. Bei den Menschen ab 60 Jahren sind es sogar 92 Prozent. Das ist natürlich ein großes Kompliment für die Ärztinnen und Ärzte. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass glücklicherweise auch in Impfzentren und auf Impfstraßen Ärztinnen und Ärzte die Menschen impfen. Nur sind ihnen in der Regel die zu Impfenden nicht von vornherein vertraut – dieses Ver- trauen muss erst aufge- baut werden. Und das kostet seine Zeit. Die Alternative ist kei- ne: Ohne Vertrauen, das bereits besteht oder erst erarbeitet werden muss, gibt es kei- ne geglückte Beziehung. Nichts gegen Technik, Elektronik, Apps und strukturierte Abläufe – aber sie sind gerade im sensiblen Gesundheitsbereich kein hinreichender Ersatz für den mensch lichen Kontakt. Sie sind eine Ergänzung und Hilfestellung. Natürlich ist es möglich und sinnvoll, über E-Mail oder eine Te- lefon-Hotline zu kommunizieren. Aber funktionieren kann die Kommunikation nur dann, wenn am anderen Ende der Leitung ein Mensch sitzt, der weiß, wovon er redet, und auch die rich- tigen Worte finden kann. Es geht um Verstehen und Verständnis. Die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft hat ihren Slogan „Menschen für Menschen“ jetzt auf Eis gelegt. Der neue heißt knapp „Für das Leben“. Optisch ist diese Verkürzung si- cher argumentierbar. Aber vor dem „Für …“ fehlt etwas – der Mensch. Man kann sich ihn dazudenken. Aber man kann ihn – hoffentlich – nicht wegdiskutieren. Ja, der Mensch ist nicht perfekt. Aber das kann ich ihm sagen. Er wird es hören. Eine Maschine, ein „System“ niemals. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Es gehört schon fast zum politischen Feiertagsritual. Kurz vor Ostern wurde wieder einmal thematisiert, dass nicht alle Bereitschaftsdienste in den Regio nen besetzt sind. Einen kleinen, aber wesentlichen Unterschied zu früheren Klagen gab es aber: Aus- drücklich hervorgehoben wurde in der politischen Debatte, dass die Bereitschaftsdienstordinationen der Kolleginnen und Kollegen an den Wochenen- den ganz wesentlich zur Verbesserung der Versor- gung beitragen. Sie funktionieren. Zwei Punkte sind aber zu ergänzen: Ein nicht besetzter Bereitschaftsdienst heißt nicht, dass es keine Notfall-Versorgung gibt. In den benachbarten Versorgungsregionen tätige Ärztinnen und Ärzte springen durchaus in die Bresche, auch wenn die Fahrwege länger werden. Und es wäre Zeit zu erkennen, dass die Bereit- schaftsdienst-Buchung kein Selbstläufer sein muss. In der Vergangenheit haben die Diensteinteiler in den Sprengeln sich ja auch bemüht, im direkten Kontakt Kolleginnen und Kollegen dazu zu gewin- nen, einen Dienst zu machen. Diese persönliche Ebene kann ein elektronischer Automatismus nicht ersetzen. Es braucht auch die individuelle Ebene. Und dann gibt es noch etwas zu bedenken: Auch in Coronazeiten ist der Dienst in einer klassischen Urlaubswoche bzw. rund um Feiertage trotz (teil- weisem) Lockdown kein „normaler“ Dienst. Da wäre es wohl an der Zeit, darüber nachzudenken, ob es für solche Dienste nicht spezieller finanzieller Anreize bedürfte, um die Wahrscheinlichkeit der Besetzung zu erhöhen. Last but not least zu bedenken: die Größe der Be- reitschaftsdienstregionen. Nach dem großen Kahl- schlag wurde ja wieder sehr still ein wenig erhöht. Es wird jedoch Zeit, darüber mit allen Ärztinnen und Ärzten einer Region ergebnisoffen zu sprechen, wie die Rahmenbedingungen für den Bereitschafts- dienst besser werden könnten. Auf Ärzte zu hören ist kein Fehler, nicht nur beim Impfen. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. extra Christoph Schweighofer Auf Ärztinnen und Ärzte hören Standortbestimmung Herwig Lindner Plädoyer für die Menschlichkeit, für die „Ärztlichkeit“ d batte Fotos: Fischer, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner
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