AERZTE Steiermark | April 2021

6 Ærzte Steiermark || 04|2021 Bereich Eiko Meister Vertreibt die Ärztinnen und Ärzte nicht Spitalsärzt*innen sollten eigentlich glücklich sein: Sie sind stark nachgefragt, haben ein gutes Einkommen und geregelte Arbeitszeiten – außer in Pandemiezeiten. Viele Kolleg*innen verlassen dennoch das Krankenhaus, um in einer eigenen Ordination wieder Erfüllung im Beruf zu finden. Die Gründe sind Arbeitsverdichtung, Bürokrati- sierung und teilweise sinnlose Verkomplizierung von Abläufen. Selbstbestimmtes Arbeiten in einem Angestelltenverhältnis ist nur schwer möglich. Während Milliarden an Hilfsleistungen an die Wirtschaft gehen, mahnt man die angestellte Ärzte­ schaft zu Solidarität mit Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig ist es aber für die Politik kein Problem, pandemiebedingt das Arbeitszeitgesetz maximal zu dehnen oder gar aufzuknüpfen. Die Spitals­ ärzteschaft wird ihrer Aufgabe gerecht, steht an vorderster Front in der Bekämpfung der Pandemie, der Behandlung der Patient*innen unter Aufrecht- erhaltung des Systems. Es wäre also zu erwarten, dass man einer Berufsgruppe, die maßgeblich daran beteiligt ist, die Folgen der Pandemie einzu- dämmen, auf gleicher Augenhöhe entgegentritt. Dies findet aber nicht statt. Das Stocken der Ge- spräche zum Paragrafen 14 der S1-Vereinbarung ist hier nur ein Symptom. Der Input, der seitens der Ärzteschaft zur Bewältigung der Pandemie geleistet wurde, wird von den Verantwortlichen leider nicht ausreichend wahrgenommen. Erst die Überlastung von Intensivstationen, die auch ohne Pandemie schon evident war, führt zu politischen Reakti- onen. Es ist daher dringend notwendig, auf die Spitalsärzteschaft in vielerlei Hinsicht zuzugehen, will man nicht einen weiteren Verlust von fachärzt- licher Expertise in den Krankenanstalten riskieren. Das Gehalt ist dabei nur ein Aspekt. Viel wesent- licher ist eine Kommunikation auf gleicher Augen­ höhe, die allen Beteiligten zum Vorteil gereicht. Denn letztlich ist ein Spital ohne Ärzteschaft ei- gentlich ein Pflegeheim. Vizepräsident Dr. Eiko Meister ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte. intra kont a Der „Eid des Hippokrates“ mit dem Versprechen: „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten“ war, als ich 1958 promovierte und das Gelöbnis sprach, sakrosankt und wur- de daher weder in Zweifel gezogen, noch diskutiert. Die Le- galisierung der Beihilfe zum Selbstmord durch das Oberste Gericht ist aber ein Anlass darüber nachzudenken, ob diese durch Jahrtausende bewährte Regel noch zeitgemäß ist. Als Arzt sammelte ich viele eigene Erfahrungen mit lebens- müden Menschen, die mir das einst abgelegte Gelöbnis wertvoll machten: y • Nach Selbstmordversuchen haben die persönliche Zu - wendung und Beratung unzähligen Patienten neuen Lebensmut und Dankbarkeit für die Rettung gebracht. Die Zeit, die wir dafür aufwenden müssen, verlangt uns Hippokrates ab. Schwere Depressionen brauchen freilich spezifische Therapie. y • Alte, auch Behinderte, waren für viele Familien noch nach dem Krieg eine schwere Belastung, die heute gott- lob sozial abgefedert wird. Sie hat bedrohliche, in der Bevölkerung noch immer immanente Begehrlichkeiten sichtbar gemacht. Hippokrates war und ist für uns Ärzte da ein verlässlicher Schutzschild. y • Menschen, die durch unheilbare Krankheiten schmerz - lich aus ihrem Leben gerissen werden, sind besonders verwundbar und hilfsbedürftig. Durch die Palliativ- medizin, die von der Hospizbewegung unterstützt wird, haben wir Ärzte eine Therapieform in die Hand bekommen, die den Betroffenen die Angst vor einem schmerzhaften und würdelosen letzten Lebensab- schnitt abnehmen kann. Der zurzeit vorherrschende Zeitgeist will das nicht wahrhaben. Hier sind Aufklä- rung und viele Erfahrungsberichte vonnöten, nicht Re- signation. Von den Behandelnden erfordert das freilich einen besonderen Einsatz im hippokratischen Sinn. Wenn man das alles bedenkt, dann sieht man, welche Weisheit in der dem Hippokrates zugeschriebenen Regel gegeben ist. Ich bin überzeugt, dass sie die Wandlungen des Zeitgeistes überstehen wird. Univ.-Prof. Dr. Karl Harnoncourt war von 1977 bis 1995 Vorstand der II. Medizinischen Abteilung am LKH-Univ.- Klinikum Graz und von 2003 bis 2012 Obmann des Hos- pizvereins Steiermark. Sie wollen etwas zu diesem Kom- mentar sagen? Bitte an: presse@aekstmk.or.at 2 d batte Karl Harnoncourt Ärztliche Hilfe für Lebensmüde

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