AERZTE Steiermark | April 2021
18 Ærzte Steiermark || 04|2021 Wissenschaft Ladenhüter der Wintersai- son 2020/21 waren in den Apotheken die Hustensäfte, Schnupfensprays und Er- kältungstees. Die Präventi- onsmaßnahmen gegen CO- VID-19 – Kontaktreduktion, Abstand, Maske und Hand- hygiene – haben nicht nur die Influenzawelle ausbleiben lassen, sondern auch die ganz banalen Erkältungen deut- lich reduziert. Aber was bedeutet das für die Immunkompetenz der Bevöl- kerung? Ist ein Anstieg an All- ergien zu erwarten, wenn zu wenige Feinde von außen die Schleimhäute herausfordern? Dazu würde es wesentlich dramat ischere Einschrän- kungen benötigen, betont Peter V. Tomazic, Assoziier- ter Professor an der Grazer Universitätsklinik für Hals- Nasen-Ohrenheilkunde und Rhinologie-Experte: „Wenn ein Neugeborenes mit Maske aufwachsen und die Maske lebenslänglich tragen wür- de und dieser Mensch dann selbst Kinder bekäme, wäre in der zweiten Generation vermutlich eine Schwächung der Immunkompetenz zu er- warten.“ Bei derart lang an- dauernder Veränderung wäre es auch plausibel, dass derzeit harmlose Erreger dann zu schwereren Krankheitsaus- brüchen führen könnten, weil das immunologische Trai- ning durch stille Feiung ver- loren ginge. Ubiquitäre Rhinoviren Aber unser derzeitiger Alltag, in dem wir die Maske im pri- vaten Bereich ablegen, sollte keine Auswirkung haben. „Rhinoviren sind außerdem ubiquitär“, betont Tomazic. „Es bleibt also von Natur aus eine gewisse Expositi- on, selbst wenn wir nieman- dem begegnen, der gerade Schnupfen hat.“ Dazu komme die ständige Konfrontation mit Hausstaub und Pollen als Trainingsmöglichkeiten für unser Immunsystem, aber auch die Gewohnheit, sich mit den Fingern ins Gesicht zu fahren und damit Keime zu übertragen. Die Zunahme allergischer Rhinitis durch ausgeprägte COVID-19-as- soziierte Hygiene sei daher nicht zu erwarten, eher eine kurzfristige Symptomreduk- tion durch Tragen der Maske und dadurch verminderte Pollenexposition. Wichtig bleibe, wenn Eltern Pollenallergien zeigen, deren Kinder im Auge zu behalten, weil durch frühe Diagnose und Therapie der „allergische Marsch“ bis hin zum Asthma Schnupfen adé – Verlust der Immunkompetenz? Was geschieht, wenn die Bevölkerung durch konsequentes Mas- kentragen und Abstandhalten die Ausbreitung von Rhinoviren mini- miert? Droht eine Zunahme der Allergien? Peter Valentin Tomazic von der HNO-Uniklinik Graz beruhigt, berichtet aber auch von einer inte- ressanten klinischen Entdeckung. gestoppt werden könne. Eine umfassende Expositionspro- phylaxe ist ja bei Pollenaller- gien keine möglich. Mutation zählt Den Rückgang an Erkä l- tungen in der heur igen Wintersaison führt Tomazic auf zwei Faktoren zurück: „Einerseits schützt uns die Maske vor der Inhalation der Viren und andererseits kommt es durch die soziale Distanz zu weniger Ansteck- möglichkeiten von Mensch zu Mensch.“ Dass COVID-19 selbst zur harmlosen respiratorischen Erkrankung abgeschwächt würde, hält er für möglich – aber nur, wenn das Vi- rus nicht durch Mutationen immunologische Ausflüchte findet. Je mehr Menschen im- munologisch an das SARS- CoV-2-Virus gewöhnt seien, durch Impfung oder durch- gemachte Erkrankung, desto niedriger werde der Ausbrei- tungsquotient und die Gefahr für die Bevölkerung. In dem Moment allerdings, in dem wesentliche Mutationen stän- dige Reinfektionen ermögli- chen, bliebe die Bedrohung aufrecht. Echter Lockdown wirkt Eine interessante Beobach- tung wurde an der Grazer HNO-Klinik im ersten Lock- down gemacht: „Beim Pe- ritonsillarabszess ist es im harten Lockdown im ver- gangenen Frühjahr zu einem Rückgang von rund 50 Pro- zent an Fällen gekommen. Bei Betrachtung der entspre- chenden Lockdown-Wochen in den vergangenen zehn Jahren wurden im Schnitt 34 Klinikeinweisungen wegen Peritonsi l larabszesses ver- zeichnet, wobei es in jedem Jahr mindestens 28 gab. 2020 waren es im selben Zeit- raum gerade einmal 15.“ Im Jahresverlauf allerdings hat die Krankheit aufgeholt und die Zahlen lagen wieder im Zehn-Jahres-Schnitt (94 im Vergleich zu 96). Ein „Aussitzen“ des Periton- sillarabszesses daheim oder die Verlagerung der Behand- lung in den niedergelassenen Bereich sei, so Tomazic, kön- ne die gesunkenen Fallzahlen nicht erklären, da bei dieser Erkrankung die Schmerzen und Schluckbeschwerden so ausgeprägt sind, dass trotz aller Bedenken jedenfalls ein Spital aufgesucht werde. Eine entsprechende Publikation dazu befindet sich gerade im Peer-Review-Verfahren. „Beim Peritonsillarabszess ist es im harten Lockdown im vergangenen Frühjahr zu einem Rückgang von rund 50 Prozent an Fällen gekommen.“ Peter V. Tomazic Foto: beigestellt
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