AERZTE Steiermark | Jänner 2021

16 ÆRZTE Steiermark  || 01|2021 IMPFEN AERZTE Steiermark: Imp- fungen sind in aller Munde. Wann haben die Impfungen in Österreich und Deutschland begonnen? Harald Salfellner: Während der Blatternepidemie von 1767 infizierte sich nicht nur der junge Mozart, sondern auch die Kaiserin Maria The- resia, die ja schon mehrere Sprösslinge an diese Seuche verloren hatte. Für den Rest ihres Lebens von Pockennar- ben entstellt, ließ die 50-Jäh- rige einen „Inokulator“ aus England kommen, wo die Me- thode der Inokulation oder Variolation seit Jahrzehnten gang und gäbe war. Dass die fortschrittliche Herrscherin drei ihrer Kinder impfen ließ, war ein Hoffnungsschimmer und übte eine ungeheure Vor- bildwirkung aus, wo doch 10 Prozent aller Kleinkinder damals den Pocken erlagen. Die geimpften „inokulierten“ Adelskinder durften auf Kos­ ten des Hofes vier Wochen im Schloss Hetzendorf in Wien zur Beobachtung bleiben, je- der Impfling wurde von Ma- ria Theresia mit einem Taler beschenkt. Also – die österreichische Kai- serin als Mutter der segens- reichen Schutzimpfung? In Österreich gewiss, doch die Variolation war nicht un- gefährlich – auf 300 Geimpfte kam ein Todesfall, es wur- den ja lebende, nicht abge- schwächte Viren inokuliert. Da viele Geimpfte schwer erkrankten, mischte sich schon damals Skepsis in die Begeisterung. Auch trugen diese frühen Pocken-Imp- fungen wohl zur Verbreitung der Krankheit bei, denn die Geimpften streuten die ge- fährlichen Erreger, die nun durch natürliche Ansteckung bei den Ungeimpften ernste Variola hervorriefen. Wann wurde erstmals eine Impfpflicht eingeführt? Was waren die Gründe dafür? Schon als mit der Kuh­ pockenimpfung nach Jenner wenige Jahre später eine se- gensreiche Pockenimpfung vorlag, zeigte sich, dass eine Ausbreitung der Seuche ohne Impfzwang nicht zu erreichen sei, da sich eine zu geringe Anzahl von Bürgern freiwillig der Impfprozedur unterzog. England war ein Pionier der Impfpflicht, in Deutschland war es Reichskanzler Bis- marck, der sich 1874 für ein Impfgesetz stark machte, das dann 1875 in Kraft trat. Ab nun waren Pockenschutzimp- fungen – und auch die erfor- derlichen Revakzinationen – bei Strafandrohung vorge- schrieben. Man darf nicht vergessen, welche Geißel die Pocken darstellten: Allein im Pockenjahr 1871 erlagen die- ser Krankheit in Preußen fast 60.000 Menschen. Die Blindeninstitute waren voll mit Erblindeten nach einer Pockeninfektion. Und in Österreich? Da wurden im19. Jahrhundert zwar mehrere Impfdekrete er- lassen, aber ein einheitliches Impfgesetz mit einer konse- quenten Impfpflicht datiert erst mit 1939, als nach dem Anschluss auch bei uns das – zwischendurch mehrfach modifizierte – Reichsimpfge- setz von 1874 zur Anwendung kam. Den Impfverweigerern drohte eine Geldstrafe von 50 Reichsmark oder bis zu drei Tagen Gefängnis. Nach dem Krieg wurde das Reichsgesetz vom nur geringfügig abgeän- derten österreichischen Impf- gesetz von 1948 abgelöst und hatte über Jahrzehnte hinweg Geltung. Die Kinder konnten und mussten in den Mütter- beratungsstellen unentgelt- lich geimpft werden – eine nutzbringende Maßnahme. Welche Überlegungen führten dann wieder zur Aufhebung der Impfpflicht? Was die Pocken betrifft, so natürlich die Eradikation der Seuche durch die WHO in den 1960er und 1970er Jahren. Infolge der gezielten Mas- senimpfkampagne ab 1966 konnte bald Land für Land als pockenfrei erklärt werden. Das letzte Pockenopfer wurde aber in Europa beklagt, als sich eine britische Fotore- porterin 1978 in einem Labor ansteckte, in dem die Viren über das Lüftungssystem frei geworden waren. Heute soll es die Pocken nur noch an zwei Orten geben, in At- Corona-Kampagne ohne historische Vorlage Der Medizinhistoriker und Arzt Harald Salfellner erinnert daran, dass bei der Diphthe- rie-, Tetanus- oder BCG-Impfung kaum nach Risiken und Nebenwirkungen gefragt wurde. Es gab auch keine umfassenden Sicherheitsüberprüfungen. Foto: Creative Commons/ Plakat des britischen Gesundheits­ ministeriums für die Diph­ therie-Impfung 1939–1945.

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