AERZTE Steiermark | November 2020
14 ÆRZTE Steiermark || 11|2020 OPFERSCHUTZ Die Toilettenanlage, so Nata- lija CokiĆ, sei der wirkungs- vollste Ort, um Opfer von Ge- walt mit einem ersten Hilfs- angebot zu erreichen. Was im ersten Moment ungewöhnlich klingt, erklärt sich bei wei- terem Nachdenken: „Auf die Toilette geht man allein, auch wenn man in Begleitung ins Spital gekommen ist. Man sperrt sich ein und hat kurz Zeit für sich. Klebt in der Ka- bine ein Sticker mit einer Not- rufnummer für Gewaltopfer, erhalten die Betroffenen ganz niederschwellig und unauf- fällig die Möglichkeit, sich Unterstützung zu holen.“ Auch in den Wartebereichen der Ambulanzen verteilt die neue Primaria der Anästhe- sie im LKH West zahlreiche Folder und war anfangs er- staunt, wie schnell sie die Ständer nachfüllen musste. Frauenhäuser, Selbsthilfe- gruppen, das Frauengesund- heitszentrum und die Polizei – sämtliche Institutionen, die Hilfsangebote machen, geben eigene Folder heraus und er- reichen damit Menschen, die von sich aus keine Erkundi- gungen einholen würden. Verpflichtend ab 2011 Seit dem ersten KAGes-Pro- jekt „Gewalt gegen Frauen“, das im Jahr 2007 startete, engagiert sich CokiĆ im Be- reich des Opferschutzes. Ihr damaliger Vorgesetzter hatte sie nominiert und mit gro ßem Engagement widmet sie sich seither dieser Aufgabe – zunächst vor allem, um Fortbildung zum Thema auf die Beine zu stellen und selbst zu besuchen. Sie ist aber auch Ansprechpartnerin für Kol- leginnen und Kollegen, wenn diese ein mutmaßliches Ge- waltopfer medizinisch ver- sorgen. Zum Schutz von Kindern gibt es schon seit Jahrzehnten zuständige Gruppen, für er- wachsene Opfer wurden sie erst spät eingerichtet. Seit 2011 sind die Rechtsträger von Krankenanstalten aller- dings dazu verpflichtet, Op- ferschutzgruppen für volljäh- rige Betroffene von häuslicher Gewalt zu schaffen. Denn 90 Prozent der Gewalttaten werden innerhalb der Familie Gewaltopfer: Ärzte sind oft erste Ansprechpartner Nicht selten suchen Gewaltopfer zunächst Hilfe bei Ärztinnen und Ärzten. Wenn auch zunächst nur, um körperliche Verletzungen versorgen zu lassen. Natalija Coki Ć , Anästhesie-Primaria und da- neben Sprecherin der Opferschutzgruppe der steirischen Region Süd-West, hat gelernt, behutsam Gesprächs- und Hilfsangebote zu machen. oder im Freundeskreis verübt. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs“, ist CokiĆ überzeugt. Mit dem Jahr 2016 wurde CokiĆ zur Sprecherin der Opferschutzgruppe der stei- rischen Region Süd-West ernannt. Zu dieser Region zählen das LKH Graz II in- klusive der Standorte Enzen- bach und Hörgas sowie das LKH Weststeiermark mit den Standorten Deutschlandsberg und Voitsberg. Die Gruppe besteht aus 12 Personen ver- schiedenster Berufsgruppen von der Pflege bis zur Psycho- login, bildet sich gemeinsam fort und trifft sich zweimal jährlich zum Austausch und zu Fallbesprechungen. Zu- dem bietet die KAGes ein- bis zweimal im Jahr eine Opferschutz-Fortbildung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und verteilt eine Opferschutzmappe, eine Leitlinie für Ärzte zum Um- gang mit potentiellen Opfern. Zusätzlich zur KAGes-Opfer- schutzgruppe Süd-West gibt es auch KAGes-Opferschutz- gruppen in den Regionen Nord, Süd-Ost und Graz. Raum schaffen Mit Gewalt konfrontiert sind Menschen aller Altersgrup- pen, aller sozialen Schichten – und auch beide Geschlechter. „Zwar trifft es deutlich mehr Frauen, aber auch Männer werden zu Opfern“, betont Foto: Fotolia „Zwar trifft es deutlich mehr Frauen, aber auch Männer werden zu Opfern.“ Natalija CokiĆ
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