AERZTE Steiermark | Juli/August 2020

BEREICH ÆRZTE Steiermark  || 07/08|2020 7 Über das Ziel können sich medizinische Wissenschaft, ärztliche Praxis und Gesundheitspolitik ja in den meisten Fällen gut eini- gen: Gesundheit. Aber es gibt leider nicht immer einen Weg zum Ziel. Und da ist die Einigung weit schwieriger. Nehmen wir eine konkrete Herausforderung: die deutliche Erhöhung der Influenza-Impfbeteiligung in diesem Jahr. Über die Notwendigkeit dieser Erhöhung gibt es keinen Zweifel. Die Begründung liegt auf der Hand: Influenza- und COVID-19- Symptome können verwechselt werden – speziell von Laien, viele Influenza-Kranke belasten das Gesundheitssystem, die Influenza sorgt für viele Krankenstände (und Pflegeurlaube). Nun hat das Gesundheitsministeri- um die Influenza-Impfung dankenswerterweise in das Gratisprogramm auf- genommen. Die Impfung wird damit für Zwei- bis 15-Jährige gratis. Dafür wurden 200.000 Dosen des geeigneten nasalen Impfstoffs bestellt. Der würde ausreichen, rund 15 Prozent dieser Zielgruppe zu impfen. Die Wissenschaft sagt aber, dass bei der ersten Impfung zwei Verabreichungen empfohlen sind. Damit sind die 15 Prozent schon in Frage gestellt. Die medizinische Praxis hat von der Politik erfahren, dass der Impfstoff erst Mitte November eintreffen wird, obwohl schon im Oktober mit dem Impfen begonnen werden sollte. Der Gesundheitsminister hat in einer Pressekonferenz mit Berufung auf die Landesgesund- heitsreferenten eine Impfbeteiligung von 40 bis 50 Prozent als Ziel definiert. Die WHO hält eine Durchimpfungsrate von 75 Prozent für nötig, um den Gemeinschaftsschutz herzustellen. Mit den vorhandenen Ressourcen wird sich aber keine wesent- lich höhere Impfbeteiligung als in den letzten Jahren ausgehen – mehr als zehn Prozent werden es kaum werden. Diese Widersprüche haben uns durch die gesamte Corona-Zeit begleitet. Sie sind manchmal unvermeidlich, oft aber auch po- litisches Kalkül. Dann dienen sie der Verschleierung und der Ablenkung von den eigenen Grenzen. Mehr politische Ehrlich- keit wäre oft wünschenswert, auch wenn es natürlich nicht ange- nehm ist, sie auszusprechen. Das brächte aber mehr Respekt. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Fotos: Oliver Wolf, Elke Meister, Simonis/Parlamentsdirektion, Grafik: Konrad Lindner Beginnen wir mit der guten Nachricht: Die Limite und Degressionen für kassenärztliche Leistungen sind für SVS und BVAEB im zweiten Halbjahr 2020 deutlich gelockert. Damit ist die Vorausset- zung dafür gegeben, dass liegengebliebene Leis- tungen nachgeholt (und auch angemessen vergü- tet) werden können. Allerdings gibt es diese Limite und Degressionen – wenn auch in entschärfter Form – weiter und die Lockerung ist befristet. Wer sich ein wenig in dieses System vertieft, bemerkt auch, wie komplex und damit intrans­ parent es ist. Selbst manche Ärztesoftware kommt damit nicht immer gleich zu Rande. Und: Die Sonderversicherungsträger sind doch um ein beträchtliches Stück unkomplizierter als die aus den Gebietskrankenkassen entstandene Öster­ reichische Gesundheitskasse ÖGK. Die Komplexität des Systems erklärt auch, wa- rum junge ÄrztInnen sich oft scheuen, einen Kassenvertrag übernehmen zu wollen. Es ist ein Systemversagen – eine Mischung aus verwor- renem System und niedrigen Tarifen, die eine Massen- und Schnellschnell-Medizin forciert, die Patientinnen und Patienten immer öfter nicht hinnehmen und Ärztinnen und Ärzte diesen nicht zumuten wollen. Natürlich kann eine Ärztin, kann ein Arzt ohne Bürokratie-Berührungsängste trotzdem mit die- sen Strukturen zurechtkommen. Aber es ist kein gutes System, wenn Kenntnisse in Vertragsrecht und Abrechnungskompetenz schon fast wichtiger werden als das medizinische Wissen und Können der Ärztin, des Arztes. Daher: Macht das System für Partner (Ärztinnen und Ärzte), aber auch für „Anspruchsberechtigte“ (versicherte Patientinnen und Patienten) endlich durchschaubarer, einfacher, fairer. Dann wird es auch gelingen, die Kassenstellen zu besetzen. So geht Versorgungsauftrag. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl Macht das System einfacher und fairer STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Mut zur Ehrlichkeit brächte der Politik mehr Respekt D BATTE

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