AERZTE Steiermark | Juli/August 2020
WIRTSCHAFT & ERFOLG WALTER HOCH Mit dem Wort Routinen wur- den früher auch Reflexe und Instinkthandlungen in Ver- bindung gebracht. Heutzutage sind damit vor allem Ver- haltensmuster gemeint, die für Effizienz und Sicherheit stehen. Genauer gesagt sind es „Verhaltensweisen, die wir regelmäßig in einem stabilen Kontext ausüben – ohne viel darüber nachzudenken oder abzuwägen“, meint Bas Ver- planken, Sozialpsychologe an der University of Bath in England*. Dafür brauchen sie nur wenige Zellen, die Ba- salganglien, obwohl sie doch durch 30 bis 50 % des Verhal- tens navigieren. Für jemand, der sein Leben gerne durch Disziplin erfolgreich machen will, dessen „Fleisch“ aber für Strenge „zu schwach“ ist, bieten sich Routinen auch als Alternative an. Qualitätsfaktor, gleichsam von der Abszess-Spaltung bis zur Botox-Unterspritzung. Das Gleitmittel der Ordination Als Qualitätsmanagement auf einer mehr organisatorischen Ebene kommen Routinen in den Praxen zum Tragen, wo sie mitbestimmen, wie Aufga- ben und Informationen ver- teilt werden. Zum einen gibt es für viele Abläufe konkrete Vorschriften, zum anderen bilden sich im Laufe der Zeit gleichsam Automatismen he- raus, die auch von gewissen Gewohnheiten der Ärztin/des Arztes ausgehen, von Verhal- tenseigenheiten, die zu ihrem/ seinem Charakter gehören und den Habitus bil- den. Das k a n n m i t der Morgenroutine beginnen. eine bestimmte Musik auf- zulegen, während das Team eintrudelt, und abends mit einem – natürlich vitamin- reichen (!) – gemeinsamen „Absacker“ enden. Neben sol- chen kleinen Ein- oder Aus- stiegshilfen sollte jedenfalls gemeinsam mit dem Team besprochen bzw. analysiert und eventuell schriftlich fest- gehalten werden, welche Ab- läufe es gibt und wer welche am besten erledigt. Welche der Teilbereiche wie Hygiene, Information oder Kommuni- kation mit den Patienten und Patientinnen, Terminverga- be, Wartung und Reinigung der medizinischen Geräte, Beschaffung von Verbandma- terial, Postwege usw. laufen nach Routine ab? Wo gehört eine neue Rou- tine entwickelt und welche muss verbessert werden, weil sie Zeit kostet, sind abso- lut wichtige Fragen, wenn es darum geht, In der Medizin: zweischneidig In der Medizin ist Routine ein höchst ambivalenter Be- griff. Müssen auszubildende ÄrztInnen wenig anspruchs- volle Tätigkeiten wie MRT- Aufklärungen oder Legen von intravenösen Zugängen allzu oft „üben“, wird vom Vergeu- den kostbarer Ausbildungs- zeit durch Routinetätigkeit gesprochen. Andererseits avanciert ärzt- liche Routine als Ergebnis entsprechend häufig gemach- ter ärztlicher Erfahrung zu einem Qualitätsfaktor, wenn sie mit anspruchsvollen In- halten gefüllt ist. So zählt die Anzahl erfolgreicher Eingriffe – zum Beispiel auch in der k leinen Ch i r u r- g ie – a l s Der Ordinationsbetrieb läuft wie geschmiert. Irgendwann aber warten nach Ordinationsschluss konstant noch drei, vier Personen, obwohl die internen Abläufe und die Gesamtanzahl der PatientInnen doch gleichgeblieben sind. Sind zeitrau- bende Routinen eingerissen? Routinen: Fluch oder Segen? Fotos: Adobe Stock 34 ÆRZTE Steiermark || 07/08|2020
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