AERZTE Steiermark | Juli/August 2020

WIRTSCHAFT & ERFOLG 32 ÆRZTE Steiermark  || 07/08|2020 Foto: beigestellt, Grafiken: Conclusio „Es geht um nachhaltige Entwicklung“ Die Versicherungsmathematikerin Karin Riegler erklärt, wie der Wohlfahrtsfonds für die steirischen ÄrztInnen funktioniert und warum die Pensionen aus derzeitiger Sicht sicher sind. kassensystem). Das „Umlage- system“ hat in der Regel kei- nerlei Kapitalstock zur Finan- zierung der auszuzahlenden Leistungen. Vereinfacht wer- den die einbezahlten Beiträge dafür genutzt, um die lau- fenden Leistungen auszahlen zu können. Für das „Kapital­ deckungssystem“ ist charak- teristisch, dass zu jedem Zeit- punkt genau so viel Vermögen vorhanden sein muss, um die Leistungsverpflichtungen für die gesamte Lebenszeit jedes einzelnen Berechtigten zu 100 Prozent zu decken. Welche Vorteile und Nachteile hat das verwendete Finanzie- rungsverfahren? Riegler: Das „offene Anwart- schaftsdeckungsverfahren“ vereint sowohl die Vor- und Nachteile beider Verfahren, jedoch mehr in einem posi- tiven als in einem negativen Sinn. Wie kann man das verstehen? Riegler: Das zentrale Risiko des „Umlagesystems“ ist die AERZTE Steiermark: Die durch die Corona-Krise ausge- löste Wirtschafts- und Finanz- krise wird auch Auswirkungen auf Pensionssysteme – ob private, betriebliche, berufs- ständische oder auch staatli- che Pensionssysteme – haben. Ärztinnen und Ärzte fragen sich zurecht, wie es um die Pensionen aus ihrem Wohl- fahrtsfonds steht. Karin Riegler: Aus derzeitiger Sicht sind die Pensionen aus dem Wohlfahrtsfonds sicher. Dies liegt vor allem daran, dass die Pensionssysteme desWohl- fahrtsfonds auf „soliden Bei- nen stehen“. Einerseits ist das verwendete Finanzierungs- verfahren optimal, um kurz- fristige Kapitalmarktrisiken abzufedern und andererseits wurden im steirischen Wohl- fahrtsfonds schon beginnend mit den frühen 2000er-Jahren laufend Reformen umgesetzt, die einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität des Wohlfahrts- fonds geleistet haben. Stichwort Finanzierungsver- fahren: Welches Finanzie- rungsverfahren verwendet der Wohlfahrtsfonds für seine Pensionen? Riegler: Es handelt sich um das so genannte „offene Anwa r t scha f t sdeckungs­ system“. Dieses Verfahren ist eine Kombination aus dem „Umlagesystem“ (Beispiel: staatliches Pensionssystem) und dem „Kapitaldeckungs- system“ (Beispiel: Pensions- so genannte demografische Entwicklung des Versicher- tenbestandes. Der Einsatz eines „Umlagesystems“ setzt voraus, dass der Versicher- tenbestand „unendlich“ lange fortbesteht. Das heißt, es muss immer wieder Neuzugänge zum Bestand geben, um die Finanzierung der Leistungen aufrechterhalten zu können. Dies ist im Bereich der staat- lichen Pension – aber auch im Bereich von systemrele- vanten Berufsgruppen wie bei Ärztinnen und Ärzten – gegeben. Weiters muss sich der Bestand weitestgehend gleichmäßig entwickeln. Was bedeutet das? Steigt die An- zahl an Pensionisten (bei- spielsweise aufgrund von geburtenstarken Jahrgän- gen – Stichwort Generation „Baby-Boomer“) derart stark an, dass die Pensionen nicht mehr aus den laufenden Bei- trägen gedeckt werden kön- nen, dann braucht es zusätz- liche Kapitalmittel für einen begrenzten Zeitraum, welche im Wohlfahrtsfonds in Form von Vermögen zur Verfügung stehen. Das Hauptrisiko des „Kapitaldeckungssystems“ ist das Kapitalmarktrisiko. Können in einem kapitalge- deckten System die geplanten Veranlagungserträge nicht er- zielt werden, müssen die Pen- sionen gekürzt werden. Im Wohlfahrtsfonds ist das nicht notwendig, da ein Teil durch das Umlagesystem kompen- siert werden kann, dies ist eben der Vorteil des „offenen Anwartschaftsdeckungssys­ tems“. Das klingt, als gäbe es beim verwendeten Finanzierungs- verfahren kein Risiko? Riegler: Das stimmt so leider nicht. Das Wichtigste beim „offenen Anwartschaftsde- ckungssystem“ ist, dass der Anteil an Umlage und der Anteil an Kapitaldeckung so gestaltet sind, dass die lang- fristige kollektive und indivi- duelle Entwicklung des Versi- chertenbestandes Berücksich- tigung findet. Das bedeutet auch, dass bei sämtlichen Ent- scheidungen, wie Pensions- oder Beitragserhöhungen, langfristige Bestandspro- gnosen in Kombination mit kurzfristigen Effekten (wie z. B. Finanzmarktkrisen) berücksichtigt werden. Die langfristigen Bestandspro- gnosen und Prognosen der Vermögensentwicklung sind fixer Bestandteil der nach dem Ärztegesetz vorgeschrie- benen versicherungsmathe- matischen Gutachten. Wie muss ein gut funktionie- rendes „offenes Anwartschafts- deckungssystem“ vereinfacht erklärt gestaltet werden? Riegler: Optimal ist es, einen soliden Kapitalstock aufzu- bauen, mit dem es möglich ist, Engpässe, verursacht durch nachteilige Bestandsentwick- lungen (z. B. Baby-Boomer), auszugleichen zu können. Viele Ärztinnen und Ärzte werden sich fragen, warum ein Teil ihrer Pensionen in der „Umlage“ finanziert wird. Warum ist das so? Riegler: Die früheren Ka- pitalreserven von Pensions- systemen gingen durch die beiden Weltkriege zumeist vollkommen verloren. Um den Ärztinnen und Ärzten der Nachkriegszeit dennoch Versicherungsmathematikerin Riegler: „Reformen sollte man im- mer dann umsetzen, wenn es dem Pensionssystem gut geht und nicht, wenn es bereits zu spät ist.“

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