AERZTE Steiermark | Juli/August 2020
12 ÆRZTE Steiermark || 07/08|2020 URSULA SCHOLZ Nur einige Wochen erzählte Zeit umfasst Melitta Brezniks Buch Mutter. Chronik eines Abschieds . Wochen, die Breznik selbst erlebt hat, dann lite- rarisch angereichert und mit rund zehn Jahren Abstand zum realen Tod der Mutter im Luchterhand-Verlag veröffent- licht. Ein nahegehendes Werk über eine Lebensphase, in der die Rollen als Tochter, Ärztin und zumeist alleinige Pflegerin der Moribunden einerseits ver- schmelzen und sich anderer- seits aneinander reiben. Wieviel Ärztin muss die Tochter sein, wenn sie um den Flüssigkeits- bedarf der Mutter weiß, aber keinen Schmerz durch Anle- gen einer Infusion verursachen möchte? „Eine Tochter mit anderem beruflichen Hinter- grund kommt nicht in diesen Entscheidungsnotstand, weil sie keine Infusionen setzen kann. Sie streitet möglicher- weise mit der Ärztin, wieviel Intervention unbedingt nötig ist“, sagt Breznik, die diesen Streit mit sich selbst ausmachen musste. „Vernünftiger Beruf“ Mit sich selbst ausmachen musste die 1961 Geborene auch ihre beruf liche Rich- tungsentscheidung. Für das Arbeiterkind, geboren und aufgewachsen in Kapfenberg, war das Medizinstudium kein vorgezeichneter Weg. „Aber ich wollte schon ziemlich früh Ärztin werden“, erzählt Brez- nik. „In der Familie gab es immer wieder Schwerkranke: meinen Bruder, der mit 18 an einem Hirntumor gestorben ist, als ich vier Jahre alt war, und meine Großmutter, die in der Psychiatrie den Eu- thanasietod gestorben ist. Ich wollte einen vernünftigen Be- ruf ergreifen und Menschen in derartigen Situationen hel- fen.“ Ihre Mutter tat alles, um sie vor dem anstrengenden Arbeitsleben als Ärztin zu bewahren; beirren konnte sie die Tochter nicht. Nach zahlreichen beruflichen Stationen – vom Studium in Graz und Innsbruck, der Ausbildung zur Allgemein- medizinerin über die Fach- arztausbildung für Psychi- atrie in Solothurn und Zü- rich, diversen Anstellungen in Kliniken bis hin zu fünf Jahren als niedergelassene Psychiaterin in Chur – ist sie nun als Leitende Ärztin in der „Die Themen finden mich“ Melitta Breznik, in der Schweiz tätige Psychiaterin mit steirischen Wurzeln, hat kürzlich ihr sechstes Buch veröffentlicht. In „Mutter. Chronik eines Abschieds“ verwebt sie reale Erfahrungen aus der Begleitung der sterbenden Mutter mit fiktionalen Elementen zu einem umgarnenden Text. psychosomatisch orientierten Clinica Curativa in Scuol im Unterengadin tätig. Neben der medizinischen Ausbil- dung vertiefte sie ihr Wissen mit diversen therapeutischen Fachrichtungen; derzeit liegt ihr Fokus auf EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) zur Be- handlung posttraumatischer Belastungsstörungen. „Aber ich bin eine Methodenprag- matikerin. Ich wende das Verfahren an, das der Patient gerade braucht.“ Naturbasierte Therapien Schon als Studentin hat es sie in die Berge gezogen – und auch der Hunger nach neu- en Erfahrungen war groß –, woraufhin sie den Studienort wechselte und in Innsbruck fertigstudierte. Nun ist sie wieder in den Bergen gelan- det. Naturbasierte Therapien sollen im Mittelpunkt ihres vermutlich nächsten Buches stehen, das sie zusammen mit einer Umweltpsychologin ver- fasst. „Es basiert auf einer Untersuchungsreihe darüber, wie Naturerfahrungen der Kindheit später als Ressour- ce genutzt werden können.“ Durch die literarische Arbeit an „Mutter“ und die Mitbe- gründung der Clinica Cura- tiva in Scuol war es Breznik bisher noch nicht möglich ge- wesen, das seit Jahren im Kopf kreisende Buch auch zu Papier zu bringen; jetzt steht es ganz oben auf ihrer Agenda. Und das nächste literarische Werk? Das müsse sie erst „kommen lassen“. „Die The- men suchen mich und finden mich“, erklärt sie. „EinThema muss mich richtig ansprin- ÄRZTIN IM BESONDEREN DIENST
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