AERZTE Steiermark | Juni 2020

BEREICH ÆRZTE Steiermark  || 06|2020 7 Noch ist die Corona-Zeit nicht vorbei. Zudem gibt es die Sorge, dass eine weitere Welle auf uns zukommt. Gleichzeitig wollen wir natürlich aus dem Ausnahmezustand herauskommen. Aber es gibt auch eine Form von „Normalität“, die wir nicht brauchen: Das ist die „Rotstift-Akrobatik“ mancher Gesund­ heitsplaner, die schon wieder vehement die Reduktion der Zahl der Spitalsbetten einfordern. Dabei ignorieren sie geflissentlich, dass „Betten“ nicht nur Betten sind, sondern dass Versorgungs­ ressourcen dranhängen. Und sie blenden aus, dass am Durch­ schnitt der Normalität orientierte Kapazitäten in einer (auch viel kleineren) Krise als der jetzigen die Gesundheitsversorgung dramatisch rasch an ihre Grenzen bringen. Eine Nachfrage bei italienischen oder britischen Ärztinnen und Ärzten würde sie viel­ leicht aufwecken. Aber leider ziehen Ge­ sundheitsplaner lieber ihre Excel-Tabellen zu Rate als Ärztinnen und Ärzte, die Patien­ tinnen und Patienten betreuen, oder gar diese Patientinnen und Patienten selbst. Was wir statt knallharten Durchschnittsberechnungen und planerischem Minimalismus tatsächlich brauchen, ist eine feh­ lerverzeihende Großzügigkeit. Die sorgt dafür, dass die Gesund­ heitsversorgung nicht gleich kollabiert, wenn außergewöhnliche Umstände eintreten – es muss ja nicht gleich eine Pandemie sein. Ja, das Vorhalten von Kapazitäten kostet Geld. Aber sie nicht vorzuhalten kostet, wenn sie benötigt werden, noch viel mehr. Und es entsteht Unmenschlichkeit, die einfach unvermeidlich wird, wenn die Ressourcen fehlen, um den Bedarf der Menschen zu decken. Maria Hofmarcher-Holzhacker von der Med Uni Wien sprach in diesem Zusammenhang von einem „intangiblen Nutzen“. Intangibel, also immateriell, mag der Nutzen der Großzügigkeit sein, aber gleichzeitig ist er sehr real und spürbar, vor allem dann, wenn diese Großzügigkeit fehlt. Daher brauchen wir sie. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Fotos: Oliver Wolf, Elke Meister, beigestellt, Grafik: Konrad Lindner Täglich appelliert die Politik an die Bevölkerung, wieder „normale“ Dinge zu tun: Zum Wirt gehen, Urlaub (möglichst im eigenen Land natürlich) machen und einkaufen (möglichst regional selbst­ verständlich). Selbst Kulturveranstaltungen sollen wieder besucht werden (halt ein bisschen anders als vor COVID-19, klar). Und es gibt wieder Sportveranstaltungen, sogar Fußballspiele und Autorennen (noch ohne Zuschauer vor Ort, dafür aber mit erweiterter TV-Präsenz). Zur Normalität gehört aber auch der normale Arztbesuch. Der war zwar nie unmöglich, aber in Krisenzeiten fand er trotzdem nur sehr schaum­ gebremst statt – es war halt Notfallbetrieb. Viele Ärztinnen und Ärzte haben darunter gelitten und leiden immer noch. Die Ärztekammer (nicht nur die steirische) hat zwar zunehmend an die Patientinnen und Pa­ tienten appelliert, sich wieder in die Praxen zu trauen. Aber bitte, wo bleiben die großen Aufrufe der Gesundheitspolitikerinnen und -politiker, wo bleiben die Pressekonferenzen der Bundesregie­ rung, wo bleiben die Inserate des Bundes in den wichtigen Medien? Und wo sind die Spitzen der Krankenkassen (sie können sich gern auch Ge­ sundheitskassen nennen), die den Menschen sa­ gen, dass sie die ärztliche Betreuung nicht länger hinauszögern sollen? Was gibt es stattdessen? Ärzte-Bashing, ein er­ bärmliches Feilschen um den Ausgleich für wirt­ schaftliche Einbrüche, ein vorhersehbares Ende der Bezahlung telemedizinischer Leistungen. Das ist nicht das, was sich die Patientinnen und Patienten erwarten, das ist nicht das, was die ÄrztInnen verdienen. Geht also hinaus, Ihr Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker, Ihr Kassenverantwort­ liche. Sagt den Menschen, dass sie wieder mög­ lichst „normal“ in die Ordinationen gehen sollen. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl Geht wieder zu den Ärztinnen und Ärzten STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Großzügigkeit statt „Taschenrechner-Akrobatik“ D BATTE

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