AERZTE Steiermark | April 2019
cover Es ist digitaler Darwinismus, wenn die Gesellschaft und Technik schon weiter sind als die Organisation. Jeder hat Gesundheits-Apps auf seinem Smartphone und beherrscht jeden Handgriff. Auch das Alter ist kein Problem mehr. Ältere Patienten können mit ihrem Smartphone gut um- gehen. Ich glaube, dass die Gesellschaft – und die Tech- nik jedenfalls – schon weiter sind als die Organisationen. Wenn wir daran denken, dass rote Blutkörperchen irgend- wann durch Nanobots ersetzt und Organe im 3-D-Drucker produziert werden, und wir sind noch nicht einmal bei E-Health in der Praxis durch, dann ist das ein Missver- hältnis. Fällt Ihnen ein im Sinne der Ärztinnen und Ärzte, aber auch der Patientinnen und Pa- tienten besonders missglücktes IT-Projekt ein? Völkl: Die Frage ist immer, wann lernt man aus den Er- fahrungen, die man bei einem Projekt gewonnen hat. Wie schnell sagt einem die Selbst- reflexion, dass es anders bes- ser wäre? Ich glaube, dass die Entwicklungsschritte, die alle machen, notwendig sind, um in die richtige Spur zu kom- men. Mir fällt nichts ein, wo ich sagen würde, es ist ganz schlecht gelaufen. Wenn all- gemein behauptet wird, etwas sei schlecht gelaufen, haben die Leute nur zu wenig mitei- nander geredet. Welche schweren Fehler kann man wirklich machen? Völkl: Der schwerste Fehler ist, jemanden auszuschließen. E-Health heißt Kooperati- on. Ohne breite Kooperation wird es nicht gehen. Vielfalt, Veränderung und Kooperati- on sind heute angesagt. Die drei Begriffe beherrschen die gesellschaftspolitische Ent- wicklung. Manchmal vergisst man Menschen und Organi- sationen einzubinden. Das muss man dann nachholen. Alle einzubinden, mag am Anfang mühsam sein, aber es lohnt sich letztendlich. Gibt es ein Projekt, das Sie nach diesen Kriterien für be- sonders gelungen halten? Völkl: Ich glaube, dass wir bei unserem Projekt in der Mo- dellregion Mürztal alle einbe- zogen haben, die einbezogen sein sollten. Ich denke, dass wir bei diesem Modellversuch auch sehr viel lernen und sehr viel Gutes bewirken. Sie haben vom Nutzen für Ihre Versicherten gesprochen, was ist der Nutzen für Sie als Versicherung? Völkl: Ein zufriedener Patient ist natürlich immer im Inter esse der Sozialversicherung. Ich denke, dass kein Weg um E-Health herumführen wird. Die frühere Erkennung von Krankheiten, der dauernde Dialog zwischen Arzt und Patient bringt wesentliche Verbesserungen. Gibt es ganz explizit auch wirtschaftliche Vorteile? V ölkl: Im Moment ist es noch zu kurz, um das sagen zu können – wir haben rund 700 bis 800 Menschen im telemedizinischen Prozess. Es interessiert mich im Moment auch noch nicht. Das ist eher mittel- bis langfristig der Fall. Sie können alles modellrech- sollte man vielleicht drei Jah- re später prüfen, ob es immer noch so ist. Wir haben im Feldversuch viel gelernt. Wenn Ärztinnen und Ärzte gegen konkrete IT-Projekte sind, werden ihnen meist auch finanzielle Motive vorgewor- fen. Tatsächlich ist aber E- Health ein Riesengeschäft für die beteiligten Unternehmen. Verstehen Sie, wenn jemand Ihnen vorwirft, eher deren Interessen zu vertreten? Völkl: Ich sehe es genau um- gekehrt. Ich arbeite im In- teresse der Versicherten. Ich nehme den Versicherten un- ter idealtypischen Verhältnis- sen den Weg zum Arzt ab. Sie können mit dem Arzt in ei- nen Dialog treten, ohne in die Praxis zu gehen. Ich sehe eher den relevanten Nutzen beim Patienten, aber auch beim Arzt, der das Wartezimmer nicht so voll hat. Ich glaube, dieses „big business“ ist bei weitem nicht so „big“, dass man uns vorwerfen könnte, wir seien Lobbyisten für diese digitalen Firmen. Fotos: Symbol „Ich habe immer das Gefühl, dass alle glauben, die Digitalisierung sei eine aufziehende Sturmfront, die wieder abzieht. Sie ist aber eine komplexe Veränderung, die bleiben wird.“ Völkl: „Ausgewogenes Verhältnis zum Datenschutz finden …“ Ærzte Steiermark || 04|2019 11
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