AERZTE Steiermark | Mai 2018

40 ÆRZTE Steiermark  || 05|2018 NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE Foto: Stelzl Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Aber der Herr Professor hat gesagt! Vor mir sitzt Frau W. Die Dame ist nicht ganz einfach und noch schwieriger ist es, ihren Hypertonus in den Griff zu bekommen. Laut eigener Aussage führt sie regelmäßige Blutdruck-Selbstmessungen daheim durch. Auf meine Frage nach den Aufzeichnungen meint sie: „Na, die hab ich jetzt nicht mit, aber er ist zu hoch. Er ist ei- gentlich immer zu hoch.“ Überflüssig zu sagen, dass ich ihr mehrmals eingeschärft hatte, dass ein Gespräch über die Blutdruckeinstellung vorhandene Blutdruckwerte voraus- setzt. Doch anstatt der schriftlichen Dokumentation ihrer Blut- druckkapriolen zieht sie einen handgeschriebenen „Kaszettel“ aus der Tasche, mit den Worten: „Wissen Sie, der Professor H. ist ein Freund von mir und er hat gesagt, Sie sollen mir das verschreiben.“ Auf dem Zettel stehen ein Dutzend Me- dikamente, alte und neue, aber es ist unklar, was sie derzeit gerade einwirft und was sie noch nicht ausprobiert hat. Deswegen behandle ich Freunde und Familie nie zwischen Tür und Angel oder beim Abendessen. Ja gern mal ein guter Rat, aber keine Medikamentenumstellungen, Überweisungen und Sonstiges. Sogar meine Mama kommt ganz brav in die Ordi. Weil dort eben der PC steht und selbiger sich alles merkt. Auf die Art und Weise versäumt meine Familie keine wichtigen Untersuchungen mehr, keiner nimmt seit Jahren Novalgin ohne Blutbildkontrolle und es passiert auch nicht, dass die beste Freundin vor zwölf Jahren die letzte Zecken- impfung hatte. Deshalb mag ich auch bei anderen keine professoralen Kaszettel, die irgendwie zwischen Aperitif und Vorspeise entstanden sind. „Liebe Frau W., ich weiß nichts Genaues über ihren derzei- tigen Blutdruck und weiß auch nicht, was Sie momentan genau nehmen. Ich verschreibe Ihnen deshalb jetzt nichts Neues.“ „Aber der Herr Professor hat gesagt!“ „Dann soll der Herr Professor es Ihnen verschreiben. Ich tu es so nicht. Schreiben Sie bitte genau auf, was Sie schon nehmen und in welcher Dosierung. Und auch noch jeden Tag zwei bis drei Blutdruckmessungen dazu. Und dann sehen wir uns in zwei Wochen wieder.“ Möglicherweise rezeptiere ich ja dann, was der Herr Professor gesagt hat. Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein­ medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon). Intensive Arbeit in gut besuchten Workshops. Intensive Diskussionen – auch in den Pausen. Gastgeber: Andrea Siebenhofer-Kroitzsch mit Stefan Korsatko.

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