AERZTE Steiermark | Mai 2018
14 ÆRZTE Steiermark || 05|2018 SERIE Arzt im besonderen Dienst anderes, deutlich praxisorien- tierteres Ausbildungssystem. Da wurde die Theorie schon parallel zur Praxis erarbeitet“, erzählt Kaufmann. Sein erster Einsatzort war die Psychiatrie in Leeuwarden gewesen – und dazu musste er wirklich flie- ßend Niederländisch sprechen. „Ich habe Niederländisch im- mer schon geliebt. Es fehlen mir aber natürlich die feinen Nuancen“, betont er und lässt dabei einen Hang zum Per- fektionismus erahnen. Da in der Region um Leeuwarden jedoch als zweite Amtssprache auch Westfriesisch gesprochen wird, musste er auch dieses zumindest rezeptiv beherr- schen. „Am Ende meines Auf- enthaltes war mir das West- friesische dann so vertraut, dass ich einmal für einen Amsterdamer Pharmavertreter gedolmetscht habe.“ Holländischer Hausarzt in Graz Das niederländische Gesund- heitssystem hat auch in seinem ärztlichen Selbstverständnis Spuren hinterlassen: „Was ich daran besonders schätze, ist die Rolle des Allgemein- mediziners, der in Holland prinzipiell der erste Ansprech- partner in gesundheitlichen Fragen ist.“ Der Gatekeeper so- zusagen. „Hausärzte sind dort sehr angesehen und begleiten einen Menschen durch das gesamte Gesundheitssystem. Dabei läuft alles sehr struktu- „… und vor der Untersuchung bekommen Sie ein Kontrast- mittel gespritzt.“ Dieser banale kleine Teil eines ärztlichen Gesprächs erfordert höchste Kreativität des Sprechenden, wenn er die Botschaft an den Patienten in Gebärdensprache formulieren muss. Denn für „Kontrastmittel“ gibt es zwar eine Gebärde, aber teilweise ist diese noch nicht im Vokabular des einzelnen Gehörlosen vor- handen. Der Terminus muss also umschrieben werden – in seiner konkreten Anwendung und seinen möglichen Folgen. Dass David Kaufmann, All- gemeinmediziner und Leiter der Gehörlosenambulanz der Barmherzigen Brüder Graz, bei dieser Paraphra- se die Kreislaufschwäche als mögliche Nebenwirkung auch gleich mimisch darstellt, wäh- rend seine Handbewegungen den Vorgang skizzieren, mag den Hörenden verwundern. Für seine Patientinnen und Patienten ist diese optische Zusatzinformation jedoch ganz normaler Bestandteil der Kommunikation. „Die Mimik ist in der Gebärden- sprache ein unverzichtbares linguistisches Element“, er- läutert Kaufmann und seine Begeisterung für diese lautlose, aber höchst komplexe und vollwertige Sprache wirkt rich- tig ansteckend. Diese Kom- plexität beinhaltet übrigens auch regionale Besonderheiten, riert ab und die Hausärzte sind trotzdem nicht überrannt.“ Beim Aufbau der Grazer Ge- hörlosenambulanz ließ sich Kaufmann vom niederlän- dischen System inspirieren. „Ich arbeite hier wie ein hol- ländischer Hausarzt“, erzählt er mit einem Lächeln. Und eigentlich würde er die Am- bulanz ja lieber „Gesundheits- zentrum für Gehörlose“ nen- nen, aber als viertes österrei- chisches Zentrum nach Linz, Wien und Salzburg, hat das Grazer den bereits etablierten Titel der anderen einfach über- nommen. In der Gehörlosenambulanz, die vor genau zehn Jahren gegründet wurde, kooperieren Arzt, Diplomschwester, Sozi- alarbeiterin und Psychologin im Sinne eines biopsychosozi- alen Behandlungsmodells zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Für viele ist Kauf- mann schon seit zehn Jahren der Hausarzt und seine Kli- entel reicht vom Baby bis zum Hochaltrigen. Er behandelt aber auch hörende Kinder ge- hörloser Eltern. Wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung durch die Gehör- losenambulanz ist auch die Gesundheitsvorsorge. Werden Untersuchungen oder Behandlungen in ande- ren Abteilungen des Hauses vorgenommen, begleiten Mit- arbeiter der Ambulanz die soziale Register und genera- tionenspezifische Gesten. „Es gibt in der Gebärdensprache beispielsweise einen Jugend- Slang. Und unsere Kärntner Patientinnen und Patienten verwenden auch wieder eigene Ausdrücke.“ Sprachen als Lebenselixier „Sprachen waren in Zeiten des teils trockenen Medizin- studiums schon immer mein Lebenselixier“, erzählt Kauf- mann. Deshalb hat der heute 40-Jährige in seiner Berufs- wahl – neben dem Buben- traum des Veterinärmedizi- ners – durchaus auch einmal ein Dolmetsch-Studium für Italienisch und Kroatisch in Erwägung gezogen. Den Aus- schlag für die Medizin hat letztlich die Vielfalt der He- rausforderungen von der psy- chosozialen Unterstützung der PatientInnen bis hin zum wis- senschaftlichen Arbeiten gege- ben, aber auch das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu bewirken. Und so lernte er eben nur für sein privates Vergnügen wei- tere Sprachen, unter anderem noch Afrikaans, Spanisch und Niederländisch. Letzteres war die Voraussetzung für seinen Auslands-Studienaufenthalt in den Niederlanden. Am Beginn des dritten Studienabschnittes verbrachte Kaufmann dort ein Jahr in verschiedenen Kran- kenhaus-Abteilungen. „Die Holländer hatten ein komplett „Ich reise jeden Tag in ein anderes Land“ Fremde Sprachen und Kulturen faszinieren David Kaufmann seit seiner Jugend. Den Großteil seines beruflichen Alltags verbringt der Allgemeinme- diziner in einer speziellen kommunikativen Welt, nämlich jener der Gebär- densprache.
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