AERZTE Steiermark | Mai 2018

DON‘T SMOKE Fotos: Harry Schiffer 12 ÆRZTE Steiermark  || 05|2018 AERZTE STEIERMARK: Wir müssen hier ja zwischen der völlig freien Arztwahl und der freien Wahl des Versorgungsniveaus unter- scheiden. Harb: Freie Arztwahl heißt auch, dass ich zu einem Arzt, der mir meine Wunschmedi- zin nicht bietet, nicht mehr hingehe. Das zwingt die Ärztinnen und Ärzte schon, Dinge zu tun, von denen sie aus medizinisch-fachlicher Sicht nicht ganz überzeugt sind. Auch die Lenkung der Patientenströme ist für mich ein Thema. Das Geld, das wir uns dadurch vielleicht ersparen, könnten wir dafür verwenden, dass die Ärztin, der Arzt mehr Zeit für die einzelne Patientin, den ein- zelnen Patienten hat. Das hat auch einen Präventionseffekt, denn das Arzt-Patienten- Gespräch ist für mich eine Präventionsmaßnahme. Es ist ein Unterschied, ob ein Gespräch drei oder 15 Minu- ten dauert. AERZTE STEIERMARK: Ei- ner der Gründe, warum Ärzte mit Einzelverträgen vor Grup- penpraxen mit einem Vertrag zurückscheuen, ist, weil sie dadurch die Möglichkeit der gegenseitigen Vertretung und Erste-Hilfe-Scheine mit den zugehörigen Abrechnungen verlieren. Lässt sich hier nicht eine Lösung finden? Harb: Die Lösung heißt, dass es das mit mir definitiv nicht mehr geben wird. Wenn AERZTE STEIERMARK: Zweite Frage dazu: Sie haben die Primärversorgungsstruk- turen beschrieben, die Sie sich vorstellen. Da gibt es aber neben den Gruppenpra- xen mit einem Vertrag eine Reihe verschiedener Möglich- keiten: mehrere Ärztinnen und Ärzte, die ihre Einzel- verträge behalten und koo- perieren, Netzwerke … Muss man nicht mehr individuelle Möglichkeiten eröffnen und Vielfalt zulassen? Harb: Dazu bin ich auch gerne bereit – ich glaube nur, dass es, wenn ich zusätz- liche Leistungen anbieten will, eine Art Zentrum geben muss. Da kommt der Mehr- wert eher zur Geltung als in einem Netzwerk, wobei ich der Netzwerk-Variante nicht jede Chance absprechen möchte. Vom Verwaltungs- aufwand her macht es aber Sinn, einen Ansprechpartner in einer Primärversorgungs- einrichtung zu haben, mit dem wir abrechnen. drei Ärztinnen und Ärzte mit Einzelverträgen in Sum- me den Betrag X verdient haben, müssen sie in einer Gruppenpraxis oder Primär- versorgungseinrichtung bei gleicher Leistung zumindest gleich viel verdienen. Das ist ganz klar für mich, dafür stehe ich. Eigentlich müssen sie mehr verdienen, weil es ja mehr Leistungen und mehr Beschäftigte gibt. AERZTE STEIERMARK: Eines der Sachargumente für mehr Kooperation der sozia- len Krankenversicherungen sind die unterschiedlichen Leistungsprofile der einzelnen Krankenkassen. Der Siemens- Mitarbeiter in der Steiermark, der gleich viel verdient und gleich hohe Beiträge bezahlt wie der Siemens-Mitarbeiter in Salzburg, bekommt nicht die gleichen Leistungen. Wa- rum gelingt diese Harmonisie- rung nicht? Harb: Ich gebe Ihnen Recht, das ist nicht verständlich. Es Ing. Josef Harb (54) ist seit Ende Februar 2018 Obmann der Steiermär- kischen Gebietskran- kenkasse. Der gelernte Schlosser und HTL-Ab- solvent ist Betriebsrats- vorsitzender bei Siemens Mobility in Graz, SPÖ- Gemeinderat in Grat- wein-Straßengel und als Gewerkschafter im Regi- onalvorstand der GPA- djp tätig. Josef Harb: „Es ist unmöglich, jede Leistung in Österreich auf das jeweils höchste Niveau anzuheben – so viel Geld gibt es nicht.“

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