AERZTE Steiermark | April 2018
RECHT U. JUNGMEIER-SCHOLZ Rund 30 Jahre galt für Men- schen mit eingeschränkter Einsichts- und Urteilsfähig- keit in Österreich das System der Sachwalterschaft. Nun hat die Bundesregierung am 30. März das neue 2. Erwach- senenschutzgesetz beschlos- sen, das mit erstem Juli in Kraft treten wird. Ziel der Neuregelung ist die Umsetzung von Vorgaben der UN-Behindertenrechts- konvention, insbesondere deren Artikel 12, der die größtmögliche Selbstbestim- mung betroffener Personen sicherstellen soll. Eine et- waige Stellvertretung soll demnach „verhältnismäßig“ und „von möglichst kurzer Dauer“ sein. Zunächst ändert sich die Terminologie: Aus der Sach- walterin oder dem Sachwal- ter wird ein/e Erwachsenen- vertreterIn; behinderte Per- sonen werden in Hinkunft als „schutzberechtigte Per- sonen“ oder vertretene sowie betroffene Personen tituliert. „Geistige Behinderung“ soll als eine einer psychischen Krankheit vergleichbare Be- einträchtigung der Entschei- dungsfähigkeit einer Person gewertet werden. Auswirkungen Die bisherige im ABGB ge- forderte „Einsichts- und Ur- teilsfähigkeit“ einer Person als Voraussetzung für das Tref- fen eigener Entscheidungen wird im neuen Erwachse- nenschutzgesetz (ErwSchG) durch den Begriff der „Ent- scheidungsfähigkeit“ ersetzt. „Er verdeutlicht, welche Fä- higkeiten im Tatsächlichen für rechtserhebliches Verhal- ten – kumulativ – mindestens erforderlich sind“, so Helmut Tippel, stellvertretender Ge- richtsvorsteher des Bezirksge- richts Leibnitz. In eine diagnostische, the- rapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende und geburtshilfliche Maßnahme, die von der Ärztin bzw. vom Arzt oder auf ihre/seine An- ordnung hin vorgenommen wird, kann eine volljährige, entscheidungsfähige Person laut Gesetz nur selbst einwil- ligen. Dasselbe gilt für sämt- liche pflegerischen Maßnah- men, die von Angehörigen anderer gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe ausge- führt werden. Die geforderte Entschei- dungsfähigkeit resultiert ei- nerseits aus der kognitiven Fähigkeit, Grund und Bedeu- tung der vorzunehmenden Handlung einzusehen, ande- rerseits auch aus dem Willen, nach dieser Einsicht bestim- men zu können und schließ- lich der Fähigkeit, sich die- sem Willen entsprechend zu verhalten. Im Zweifelsfall haben ÄrztInnen von die- ser Entscheidungsfähigkeit auszugehen (§ 24 Abs. 1 ABGB). Unerfahrenheit oder ein niedriger Intelligenzgrad führen per definitionem nicht zu einem Mangel an Entscheidungsfähigkeit. Entscheidungsfähigkeit mobilisieren Hegt eine Ärztin oder ein Arzt – nach erfolgter Auf- klärung – Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit ei- ner volljährigen Person in Bezug auf eine konkrete be- vorstehende Behandlung, so ist sie oder er verpflichtet, Unterstützungsmaßnahmen zu setzen, um diese Ent- scheidungsfähigkeit herbei- zuführen: durch Beiziehung von Angehörigen, Naheste- henden und Vertrauensper- sonen der/des Betroffenen oder durch Einbeziehen von Fachleuten. Dabei müssen Ärztinnen und Ärzte beachten: „Die gesetzten Maßnahmen zur Beförderung der Entschei- dungsfähigkeit, aber auch die danach erfolgten Behand- lungen sind zu dokumen- tieren“, betont Dietmar Ba- yer, ÄK-Vizepräsident und Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medi- zin. Ist die Entscheidungsfä- higkeit hergestellt, reicht die einfache Einwilligung des volljährigen Patienten oder der volljährigen Patientin. Bestimmen und widersprechen Als Entscheidungsgrundlage für die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung dient die übliche Selbstbestim- mungsaufklärung. Sollen in die Entscheidungsfindung weitere Personen eingebun- den werden – beispielsweise ein/e gesetzliche/r Vertre- terIn –, muss die vertretene Person darüber informiert und der Vorgang entspre- chend dokumentiert werden. Äußert ein/e Betroffene/r, nicht behandelt werden zu wollen, ist diese Aussage jedenfalls zu respektieren; dafür genügt ihre/seine Äu- ßerungsfähigkeit. Ausnahmeregelungen gibt es bei Gefahr in Verzug: Besteht im Fall einer verzögerten Behandlungsaufnahme eine ernste Gefährdung des Le- bens oder drohen schwere Gesundheitsschäden sowie große Schmerzen, können Aufklärung, aber auch Un- terstützung bei Erlangung der Entscheidungsfähigkeit unterbleiben. Auf der sicheren Seite Kommem nun ÄrztInnen in die Situation, eine nicht entscheidungsfähige Person ärztlich behandeln zu sol- len, ist zunächst zu klären, ob eine (verbindliche oder beachtliche) Patientenverfü- gung vorliegt, die eine Vor- gehensweise bei derartiger Mit 1. Juli 2018 wird das Erwachsenenschutzgesetz das alte Sachwalterrecht ablösen. Die Neuregelung stärkt das Selbstbestimmungsrecht Betroffener – mit spürbaren Aus- wirkungen auf medizinische Behandlungen. Erwachsenenschutzgesetz: Was zu beachten ist 28 ÆRZTE Steiermark || 04|2018
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