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AERZTE Steiermark 10/2022

 

Hilfe bei Hass

Ärztinnen und Ärzte, die bedrängende Erlebnisse zu verarbeiten haben, von Mobbing bis zum Hass im Netz, brauchen rasch ein kompetentes Hilfsangebot. Die Ärztekammer Steiermark hat dafür ihre Stellen vernetzt.

Ursula Scholz
Martin Novak

Der Hass (auch) gegen Ärztinnen und Ärzte hat viele Gesichter. Es beginnt bei Mobbing und Bossing (dafür wurde in der Ärztekammer Steiermark bereits vor eineinhalb Jahrzehnten AMBOSS als Anlaufstelle für Betroffene ins Leben gerufen), geht weiter zu verbalen und gelegentlich sogar tätlichen Angriffen aggressiver Patientinnen und Patienten gegen Ärztinnen und Ärzte, aber auch Gesundheitspersonal, und endet vorläufig bei Attacken im Netz. Weil aber die Hassausbrüche vielfältig sind, muss es auch die Hilfe sein.

Nur eines gilt immer: Es braucht „eine schnelle Reaktion“, wie es Neshat Quitt, niedergelassene Kassen-Allgemeinmedizinerin in Graz und gemeinsam mit Kristina Köppel-Klepp Referentin für „Ärztliche Sondereinsätze“ in der Ärztekammer Steiermark (Co-Referenten Michael Adomeit, Gerhard Postl und Reinhard Domanyi), fordern.


Wer Hilfe sucht, bekommt sie von der richtigen Stelle

Die Hilfe-Stellen der Ärztekammer Steiermark haben sich vernetzt, um schnell und tatkräftig betroffene Ärztinnen und Ärzte unterstützen zu können. Sie haben auch festgelegt, welche der drei Einrichtungen (neben AMBOSS und dem Referat für Ärztliche Sondereinsätze ist es auch die Ethik- und Beschwerdekommission mit dem Vorsitzenden Univ.-Prof. Ronald Kurz) in welchen Fällen tätig wird.

Wobei Ärztinnen und Ärzte nicht wissen müssen, welche der Stellen für ihr konkretes Problem zuständig ist. Egal, wohin sie sich wenden, wird ihr Anliegen Ärztekammer-intern an die richtige Stelle weitergleitet.


Externe Expertise

Wobei es auch kompetente, externe Stellen gibt, mit denen die Ärztekammer teils auch kooperiert.

Wenn es um Hass im Netz geht, ist es der Verein Zara, der über langjährige Beratungskompetenz in diesem Bereich verfügt. Quitt betont die Wichtigkeit, auf sämtliche Möglichkeiten vorbereitet zu sein. Wichtig sei die Botschaft „es gibt jemanden, der sich auskennt“, betont sie, egal ob es sich um rechtliches Wissen, technische (betrifft vor allem das Netz) Kompetenz oder psychotherapeutische Expertise handelt (dazu auch das Interview mit Gottfried Dohr, AMBOSS, siehe unten).

Ein spezielles Thema, nämlich die Probleme, die Beteiligte an einem traumatischen ärztlichen Erlebnis (etwa einem Beinahe-Fehler) haben, bearbeitet der Verein Second Victim. Lesen Sie dazu weiter unten den Artikel „Mensch bleiben – kein Opfer werden“.


Noch mehr Information

Um die Bekanntheit zu erhöhen und die Thematik zu vertiefen, hatte die Ärzte-Ombudsstelle AMBOSS im Jahr 2022 (und zuvor schon 2021)  einen Informationsstand bei den Grazer Fortbildungstagen. Die Österreichische Ärztekammer führt im November eine Enquete zum „Hass im Netz“ durch – den bekommen jene zu spüren, die sich im Netz bewegen.

Auf Initiative des Referats für Ärztliche Sondereinsätze startet die Ärztekammer Steiermark eine Umfrage zu den vielfältigen Bedrohungen, denen sich Ärztinnen und Ärzte ausgesetzt fühlen. Und die Information soll noch weiter verstärkt werden – etwa mit dem Versand von Info-Kärtchen an alle Ärztinnen und Ärzte.

Die zentrale Botschaft aller Initiativen formuliert Neshat Quitt: „Es gibt jemanden, der sich auskennt.“ Und hilft.

Kontakte:

AMBOSS: T. +43 316 8044-41, amboss@aekstmk.or.at.

Anonyme Telefonsprechstunde jeden Donnerstag, 17.00 bis 18.00 Uhr unter +43 664 96 57 749.

https://www.aekstmk.or.at/50?articleId=9221

 

Ethik- und Beschwerdekommission: Nicole Eichberger, T +43 316 8044-28, ngl.aerzte@aekstmk.or.at

https://www.aekstmk.or.at/50?articleId=129

 

Referat für Ärztliche Sondereinsätze, T: +43 316 8044-0 Team:
Dr. Neshat Quitt (Referentin), Dr. Kristina Köppel-Klepp (Referentin), Dr. Michael Adomeit (Co-Referent), Dr. Gerhard Postl (Co-Referent), Dr. Reinhard Domanyi (Co-Referent)

https://www.aekstmk.or.at/84 (Referate)

Fotos: Adobe Stock, kK, Adobe Stock

 

„Wir machen Mut“

Der Histologe und Psychotherapeut Gottfried Dohr ist einer der fünf Referent*innen, die in der Anti-Mobbing-Burn-Out-Supervisionsstelle (AMBOSS) Kolleginnen und Kollegen helfen. AMBOSS ist aber nicht die einzige Anlaufstelle für Hilfesuchende.

Wie und warum ist AMBOSS 2010 entstanden?

Es gab zunehmend Fälle von Mobbing und Bossing. Die Führungskräfte waren diesbezüglich nicht hinreichend ausgebildet. Da wurde ich als Arzt und Psychotherapeut vom damaligen Ärztekammerpräsidenten Wolfgang Routil gefragt, ob ich eine solche Stelle leiten würde.

 

Was hat sich seither verändert?

Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, das Bewusstsein ist größer geworden. Und das Wissen: Da gibt es eine Stelle, da wird Dir zugehört. Wir können zwar nur stützen und begleiten, wir haben keine rechtliche Kompetenz. In den letzten Jahren gab es mehr Interesse. Das Angebot wurde in anderen Ländern aufgegriffen. Aber die Angst ist nach wie vor groß … angstfreies Arbeiten ist keine Selbstverständlichkeit.

 

Wie viele Anfragen pro Jahr bekommen Sie?

Ein Dutzend. Oder weniger. Das ist wohl ein Alarmsignal. Viele trauen sich nicht, ihre Probleme anzusprechen. Dabei entsteht so oft eine sehr gute Lösung. Damit noch mehr Menschen Hilfe in Anspruch nehmen, muss die Kultur des Umganges verändert werden. Denn über das Reden kommen die Leute zusammen.

 

AMBOSS ist nicht die einzige Anlaufstelle?

Es gibt die Ethik- und Beschwerdekommission, die sich vor allem mit Patientenbeschwerden befasst. Und es gibt seit Kurzem eine dritte Stelle, die akute Hilfe leistet. Wir tauschen uns auch aus. Manchmal ist es auch notwendig, die Behörden einzuschalten.

 

Was muss geschehen, damit es weniger Konflikte gibt?

Um Konflikte zu entschärfen, muss das Konfliktmanagement in der Ausbildung der Führungskräfte einen noch höheren Stellenwert bekommen. Es hat sich zwar vieles zum Besseren verändert, aber es kann noch mehr angeboten werden. Es geht auch darum, das Bewusstsein zu schärfen. Für eine Führungsaufgabe genügt es nicht, ein guter Arzt und Wissenschaftler zu sein. Mit Konflikten gut umgehen zu können, erleichtert die Arbeit. Dazu muss man tiefer hineinschauen können und die entsprechenden Kompetenzen erwerben. 

 

Welche Art von Konflikten kommt bei Ihnen am häufigsten vor?

90 Prozent der Inanspruchnahmen von AMBOSS betreffen Konflikte untereinander oder mit Vorgesetzten.

 

Wie helfen Sie konkret?

Wir bieten vorweg jedenfalls den telefonischen Kontakt an, aber ich finde, dass ein persönliches Gespräch noch mehr helfen kann, um Kränkungen und Irritationen aus der Welt zu räumen oder zumindest klar ins Bewusstsein zu rücken. Ich kann beim AMBOSS-Team meinen Frust loswerden. Oft ist auch eine Art Rollenspiel als Vorbereitung auf ein Gespräch hilfreich. Da übernehme ich den Part der Kollegen oder Vorgesetzten. Wir können auch zu den Gesprächen mitgehen, um Spannungen auszugleichen. Wir machen Mut. Wir vermitteln aber auch zu Psycholog:innen oder Psychotherapeut:innen, für ein vertiefendes Coaching. Manchmal braucht es auch eine Rechtsanwältin, einen Rechtsanwalt.

 

Was kostet die Inanspruchnahme?

AMBOSS ist kostenlos. Wenn Betroffene sich entschließen, darüber hinaus rechtliche oder therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, werden natürlich Kosten entstehen.

 

Hass im Netz ist ein recht neues Thema – brauchen Sie dafür zusätzliche Expertise?

Bei AMBOSS spielt das Thema bisher keine bedeutende Rolle. Aber in der Soforthilfegruppe ist es ein wichtiges Thema. Da braucht es zusätzlich vor allem technische Expertise.

Foto: Schiffer

 

Mensch bleiben – kein Opfer werden

Der Verein Second Victim ist in der Pandemie entstanden. Der Bedarf an Beratung und Therapie für Menschen in Gesundheitsberufen, die nach einem traumatischen Erlebnis im Job selbst in die Opferrolle zu geraten drohen, bestand schon lange. Aber noch nie zuvor hatte sich die Lage so zugespitzt wie in den vergangenen zweieinhalb Jahren.

„Am Abend sitzt du da und weißt nicht, warum dir die Tränen runterrinnen.“

So lautet ein Blogbeitrag der Gründerin des Vereins Second Victim. „Im Laufe einer medizinischen Karriere ist damit zu rechnen, dass jeder einmal zu einem Second Victim wird. Es ist keine Frage des Obs, sondern eine Frage des Wanns.“ Derart klare Worte, gestützt auf Studienergebnisse, findet die niederösterreichische Anästhesistin und Notfallmedizinerin Eva Potura, wenn man sie nach ihrer Motivation für die Vereinsgründung fragt.

Die Notwendigkeit für Menschen in Gesundheitsberufen, nach potenziell traumatisierenden Ereignissen rasch Hilfe und Entlastung zu finden, war ihr schon lange bewusst. In Folge eines besonders belastenden COVID-19-Todesfalls reifte in ihr dann die Idee, zu diesem Zweck einen Verein zu gründen. „Ich habe mir gedacht, ich probiere es einfach – was soll den schiefgehen? Schlimmstenfalls passiert doch einfach nichts“, erzählt Potura.

Viel besser als nichts

Das Ergebnis ist ein Verein zur Unterstützung von insbesondere medizinischem Personal nach kritischen Situationen mit einem (Beinahe-)Patient*innenschaden, den Potura mit der Unterstützung von Freunden ins Leben gerufen hat. Hilfreich bei der Professionalisierung des Vorhabens war auch Poturas Vernetzung mit jenen 10.500 Twitter-Followern, die in der Pandemie ihre Tweets aus dem Bereich der Intensivmedizin mitverfolgt haben.

Die Kontaktaufnahme von Betroffenen mit den Helfenden erfolgt per Telefonhotline oder E-Mail; angeboten werden entlastende Gespräche in der Akutsituation, professionelle Beratung, kostenlose Therapiemöglichkeiten und Fortbildungsangebote. Einen Überblick über das Angebot erhalten Interessierte unter www.secondvictim.at. Im Zuge einer Ringvorlesung der Meduni Wien zum Thema „Eine von 5 – Gewalt im Gesundheitsbereich“ werden heuer im November auch schon Medizinstudierende für das Thema sensibilisiert. Je bekannter das Hilfsangebot ist, umso früher werden Betroffene Unterstützung suchen und finden. „Unser Slogan lautet ,Mensch bleiben – kein Opfer werden´“, so Potura. Und dazu braucht es rechtzeitige Hilfe, bevor Selbstvorwürfe und Schuldgefühle zu wiederkehrenden Albträumen, Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken, Suchtverhalten, Zynismus oder zu massiven Selbstzweifeln führen. In Folge traumatisierender Erlebnisse kommt es auch zum Burnout oder zur Aufgabe des Arztberufs.

Mitstreiter*innen gesucht

Sämtliche Mitarbeiter*innen des Vereins stellen ihre Expertise ehrenamtlich zur Verfügung, die Telefonhotline und andere anfallende Kosten werden über Spendengelder und den Hauptsponsor, die Wiener Städtische Versicherung, finanziert. „Wir suchen gerne weitere Mitstreiter*innen“, betont Potura.

Einen prominenten Unterstützer hat der Verein im ehemaligen Gesundheitsminister Rudolf Anschober gefunden, der kürzlich eine Benefizlesung seines Werkes „Pandemia. Einblicke und Aussichten“ im Wiener Tunnel zugunsten von Second Victim durchgeführt hat. Das Angebot des Vereins sieht sich nicht als Ersatz für, sondern als Ergänzung des Hilfsangebots der Arbeitgeber. Eva Potura selbst spricht mit großer Wertschätzung über die Unterstützung, die Krankenanstalten für ihre Mitarbeitenden zur Verfügung stellen. Das explizite Bedürfnis nach externer Hilfe entsteht wohl auch aus dem Wunsch, in hundertprozentiger Anonymität vollkommen offen sprechen zu können. „Fragt man Mitarbeiter*innen, welche Art von Hilfe sie sich wünschen, wollen 63 Prozent außerhalb der Organisation Hilfe suchen und weniger als die Hälfte innerhalb der Organisation“, berichtet Potura.

Auch innerhalb des Krankenhausteams lassen sich die Folgen dramatischer Erlebnisse teilweise abfangen, indem sofort nach einem Ereignis ein Critical Incident Stress Debriefing stattfindet. In Poturas Arbeitsumfeld wird es bereits praktiziert, stößt aber auch auf ärztlichen Widerstand: „Wir hören auch oft ,keine Zeit`, weil wir den innerlichen Stress haben, die Patient*innen jetzt zu versorgen, die wegen des Zwischenfalls eh schon lange warten. Doch auch diese Patient*innen haben eine sichere und adäquate Behandlung in Ruhe verdient“, betont die Intensivmedizinerin. „Debriefings sind aber wichtig für UNS. Niemand hat etwas davon, wenn wir alle irgendwann wegbrechen.“

Der Brand, der vor der Pandemie schon schwelte, als Arbeitsverdichtung und Überlastung schon Thema waren, loderte durch COVID-19 so richtig auf: Laut einer belgischen Studie sind Stress, Schlafstörungen und Depressionen beim Gesundheitspersonal um das Siebenfache angestiegen. Über den Verein soll im kommenden Jahr eine Peer-Ausbildung in psychologischer Erster Hilfe angeboten werden, damit in Akutsituationen Menschen vor Ort zeitnah helfen können. Menschen, die mit derartigen Situationen vertraut sind.

Und Poturas eigenes Rezept, eine kritische Berufssituation zu verarbeiten? „Ich denke, ein Patentrezept gibt es nicht, das ist sehr individuell. Für mich ist es, laute Musik zu hören und Sport zu machen, reden, reden, reden – auch mit professionellen Therapeuten.“

 

Wie erreiche ich Second Victim?

Die Hotline unter 0720 70 43 44 ist montags von 9.00 bis 11.00 Uhr und donnerstags von 17.00 bis 19.00 Uhr erreichbar. Es fallen die normalen Telefonkosten an.

Außerhalb dieser Zeit beraten Expert*innen unter beratung@secondvictim.at. Das Fortbildungsangebot – am 1.12.2022 steht ein Modul für Zeitmanagement auf dem Programm und im Jänner eines für Konfliktmanagement – ist unter www.secondvictim.at/fortbildungen/ einzusehen. Viele Weiterbildungen finden auch online statt.

Im CIRSmedical-Podcast erklären Eva Potura und Artur Wechselberger, Referent für Qualitätssicherheit und Qualitätsmanagement in der ÖÄK, alles Wissenswerte zu Second Victim; nachzuhören unter: www.secondvictim.at

Foto: Second Victim/Marco´s Photography




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